Montag, 8. Juni 2015

Der Fake Faktor - Urteil

Montag, 23. Dezember 1996 

Die Tageszeitung kündigt ihren Lesern die bevorstehende Verurteilung des TV-Fälschers Born an, die übrigens zeitgleich zu einem Prozess am Frankfurter Landgericht über einen Fall angeblicher Untreue beim Hessischen Rundfunk (HR) erfolgt:

"Im Prozess konnte man sich davon überzeugen, dass die Redakteure eher mehr denn weniger an den Fälschungen beteiligt waren (...). Günther Jauch ging soweit zu verkünden, er sei noch nie in einem Schneideraum gewesen. Entweder ist dieser Satz eine Lüge, oder er beschreibt realistisch die Arbeitssituation eines Menschen, der gar nicht wissen will, ob er Lügen oder Wahrheiten verkauft."

An ein Publikum, dass in Koblenz keine Rolle spielte, obwohl sie die eigentlichen Betrogenen sind. „Aber für Betrug am Zuschauer gibt es leider keinen Paragraphen im Strafgesetzbuch“, unterstreicht nach dem Urteil Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und nach wie vor Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder. Am Vormittag verurteilt der Vorsitzende Richter Ulrich Weiland Michael Born zu vier Jahren Haft, sein Ex-Helfer Charalampous muss für zwei Monate hinter Gitter. Die 12. Strafkammer befindet ihn des Betrugs in 16 Fällen und des versuchten Betrugs in vier Fällen für schuldig.

Die Höhe des Strafmaßes komme in erster Linie wegen Delikten wie Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhass (Beitrag über angebliche Ku Klux Klan-Aktivitäten in der Eifel), Urkundenfälschung oder dem Vortäuschen von Straftaten zu Stande. Diese Straftaten hätten schwerer gewogen als die Betrugsvorwürfe, erklärt Richter Weiland.



 
 
 
 
Urteil und Prozessende - Richter Ulrich Weiland fällt ein hartes Urteil und schickt den TV-Kujau für vier Jahre hinter Gitter, Tochter und Frau bleiben im Gerichtssaal zurück.




Dass Redakteure und sonstige Mitarbeiter von stern TV in ihren Aussagen nicht die Wahrheit ausgesagt haben könnten, schließt das Gericht aus. Grund: auf ihnen habe ein hoher Druck zur Wahrhaftigkeit gelastet. Sollte ein Zeuge wegen Meineids verurteilt werden, „dann wäre seine Existenz mit Sicherheit zerstört“. Dieses existenzielle Dilemma könnte „aber auch der Grund für alle gewesen sein, dicht zusammenzuhalten“, konstatiert EPD in einem späteren Rückblick auf den Prozess.
 
Ungeklärt bleibt auch die Mitverantwortung von stern TV. Denn Born war zwar Lieferant des gefälschten Materials, aber nicht alleiniger Urheber der strafbaren Filmbeiträge. Bleibt die Frage, ob eine solche Aufgabenteilung nicht auch „juristisch als Co-Autorenschaft (...) hätte gewertet werden müssen“, gibt EPD weiter zu Bedenken.  Nach dem Verhandlungsmarathon, in dem die Justiz nach eigenen Worten Neuland betreten und gleichzeitig ziemlichen Nachholbedarf in Sachen Medienkompetenz an den Tag gelegt hat, spart der Richter nicht mit Kritik an stern TV. Die fehlenden Kontrollen, die nach dem Pressegesetz hätten erfolgen müssen, hätten sich bei der Strafzumessung zu Gunsten Borns ausgewirkt.
 
Die Beweisaufnahme zeigte nämlich, dass Born nicht der eiskalte Fälscher ist, dem man nicht auf die Schliche hätte kommen können. Mit diesen Worten rechtfertigte Anfang des Jahres stern TV noch, dass es auf ein Dutzend falscher Born-Filme hereingefallen war.
 
Einen Tag vor Heiligabend geht die folgende DPA-Meldung  über den Ticker und erreicht die Redaktionen:
 
"Spätestens im August 1995, als ein Born-Film über Kinderarbeit für Ikea in Indien als Fälschung aufgeflogen war, hätte die Redaktion tätig werden müssen, so Richter Weiland. Darüber, dass es „stern TV“ in einigen Beiträgen ebenfalls mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte, habe das Gericht nicht zu befinden."
 
Die meisten Tageszeitungen arbeiten da bereits mit eingeschränkter Mannschaft, Artikel kommen aus dem Stehsatz ins Blatt, zum Recherchieren hat niemand so richtig Lust. Es herrscht Weihnachtsstimmung. Wer nichtsdestotrotz von den Gescholtenen einen Kommentar haben will, erfährt per Anrufbeantworter, die Redaktion sei vom 20. Dezember 1996 bis 7. Januar 1997 nicht erreichbar.
 
In einer Pressemitteilung lässt stern TV noch wissen, dass es sich bei den von Born begangenen Straftaten keineswegs um Kavaliersdelikte handele:
 
"Mit dem heutigen Wissen würden wir uns wünschen, Born einige Wochen eher angezeigt zu haben“, erklärt Zaik. Allerdings habe das Gericht auch festgestellt, dass Born mit hoher krimineller Energie vorgegangen sei."
 
Dienstag, 24. Dezember 1996
 
Hat dies das Gericht wirklich so festgestellt? Diese Version ist der TAZ offenbar entgangen, das Blatt hält einen anderen Tenor fest:
 
"Der Aufwand an „krimineller Energie“ habe - angesichts der fehlenden Kontrollmechanismen bei den Redaktionen - „nicht sonderlich stark“ sein müssen. Ganz besonders monierte Weiland, dass Stern TV mit einer „bisher nicht offenbar gewordenen Dreistigkeit“ versucht habe, den Skandal mit Born zu vertuschen.“
 
Trifft es also zu, dass die eigentlichen Verantwortlichen in den Sendeanstalten sitzen und lediglich ein „erfolgreiches Schuld-Outsourcing“ betrieben haben, wie die TAZ vermutet, für die auch das Urteil am System wenig ändert:
 
"Im Gegenteil. Es bremst einen Prozess der Entmystifizierung, der seit Jahren nur mühsam in Gang kommt. Nun steht zu befürchten, dass die gesunden Zweifel am Medium Fernsehen zusammen mit Born von der Bildfläche verschwinden (...). Solange es keine Regelungen gibt, die den Zuschauern signalisieren, welche Bilder aus dem Archiv und welche inszeniert sind, sind solche Urteile Makulatur.“
 
Mittwoch, 8. Januar 1997
 
Über den Jahreswechsel zieht in der Kölner Redaktion wieder der Alltag ein. Zumal die Fakes keine negativen Folgen für das Magazin hatten. Durch die Enthüllung der Betrugsserie ist weder ein Rückgang in puncto Einschaltquoten noch bei den Werbebuchungen festzustellen. Übrigens ist wieder die Jahreszeitzeit der TV-Rückblicke. Wie gewöhnlich sind die Webeinseln im stern TV-Rückblick ausgebucht. Darin: die „spannendsten Reportagen“ aus dem Jahr 1996 - Kindesmissbrauch und -Pornografie stehen ganz oben auf der Hitliste.
 
Der größte Betrugsfall im deutschen Fernsehen, der die deutschen Medien ein Jahr lang beschäftigte, Zuschauern wie Lesern ungeahnte Einblicke hinter die Kulissen der Branche gewährte und gleichzeitig das Medium TV entzauberte, bleibt darin allerdings unberücksichtigt.
 
Donnerstag, 16. Januar 1997
 
Genau ein Jahr nachdem der Skandal ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geraten war, flackert er im Hamburger Wochenblatt Die Zeit ein letztes Mal auf. Als „Sittengeschichte des Fernsehjahres 1996“ mit Günther Jauch als Hauptperson:
 
"Bei der Endabnahme von Filmen (...) interessiere ihn nicht, ob die Darstellungen stimmen, sondern ob die Geschichten „stimmig“ sind. (...) Diese Ideengeschäfte sind offenbar dem Ziel hoher Quoten eher verpflichtet als der Wirklichkeit. Die Zeugenvernehmungen insgesamt vermittelten den Eindruck, Stimmungsmache sei das oberste Gebot in den Aufschneideräumen von Stern TV gewesen."
 
 
Sprung in die Gegenwart
 

Günther Jauch gründet im Sommer 2000 gemeinsam mit Andreas Zaik die I&U - Information und Unterhaltung TV Produktion GmbH - in Köln. Hauptgesellschafter ist Jauch, Geschäftsführer und Chefredakteur Andreas Zaik. Seitdem produziert I&U auch stern TV und mittlerweile für RTL oder Vox über einhundert Sendungen pro Jahr. Darunter die Grips-Show, die 80er Show mit Oliver Geissen, die von Hape Kerkeling moderierte 70er Show, die DDR-Show oder den RTL-Jahresrückblick.

 
 
 
 
Freude und Jubel - Günther Jauch erhält im Jubiläumsjahr des Privat-TV den Publikums-Bambi, Alice Schwarzer gratuliert und niemand fragt den Ausgezeichneten nach dem größten Skandal in der deutschen TV-Geschichte.




I&U war auch Produzent der beiden Sendungen, die RTL am 3. und 12. Januar 2004 zum 20. Jubiläum des deutschen Privatfernsehens ausstrahlte. Insbesondere bei jungen Zuschauern zwischen 14 und 49 Jahren seien die Shows hervorragend angekommen, heißt es in einer Pressemeldung danach: „Hier lag der Marktanteil bei starken 27,2 Prozent (3,58 Millionen Zuschauer) - klare Marktführerschaft am Abend.“

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen