Dienstag, 12. Mai 2015

Der Fake Faktor - Schmierenkomödie

Mittwoch, 25. September 1996

Am fünften Prozesstag kommt es in Koblenz zum ersten Massenauflauf der TV-Prominenz. Angereist sind neben anderen ZAK-Moderator Friedrich Küppersbusch und Pro 7-Chefredakteur Gerd Berger, dem Born kurz nach einem Attentat auf die Moderatorin Arabella Kiesbauer im Juni 1995 vergeblich ein Interview mit einem vermeintlichen Bastler einer Briefbombe anbot.

Berger versucht das Image seiner Zunft zu retten: „Alle Magazine haben ein Kapital, das ist die Glaubwürdigkeit“, sagt er. Und gibt sich ansonsten arglos: „Ich habe bei Born nie Zweifel gehabt. Fälschungen hätte ich nie für möglich gehalten“, erklärt Berger, der von 1990 bis 1992 auch Chef bei stern TV und davor verantwortlich für ZAK war.

Eine Fälschung hat auch Küppersbusch nicht unterstellen wollen, als er Borns Beitrag über Asylantenschlepper zum ersten Mal anschaute. Der am 1. Juni 1991 gedrehte Film zeigt, wie vier schiitische Kurden aus dem Irak über den verschneiten österreichisch-deutschen Grenzübergang Rossfeld bei Salzburg fliehen. Schnee im Sommer? Das kommt der WDR-Redaktion seltsam vor.

Born beteuert zwar, der Beitrag sei in 1.800 Metern Höhe gedreht worden. Trotzdem erkundigt sich ein Redakteur parallel beim Wetteramt in Österreich. Die Auskunft: Es hat in der hoch gelegen Region wirklich geschneit. Ein meteorologischer Zufall. Die Redaktion ist beruhigt und nimmt den Beitrag in die Sendung. „Ich beiße mir heute noch ins Bein, dass uns das mit dem Wetteramt passierte“, zitiert die Rhein Zeitung Küppersbusch am nächsten Tag. Denn das Team des WDR-Satiremagazins und sein Publikum werden gelinkt. Nach der Ausstrahlung reklamieren aufmerksame Zuschauer, die angeblich exklusiven Bilder bereits an anderer Stelle gesehen zu haben.

Als Adresse stellt sich heraus: Tele 5, der Münchner Minisender. Allerdings nimmt Küppersbusch an, von dem TV-Fälscher, vor dem in einer Schaltkonferenz anschließend alle ARD-Anstalten gewarnt worden waren, nur kaufmännisch getäuscht worden zu sein. Die TAZ war in der Vernehmung anwesend:

"Als Küppersbusch dann noch anmerkte, dass über eine freundschaftliche Beziehung eines Redakteurs von Zak zu einem Mitarbeiter von Stern TV auch die private Konkurrenz Wind vom windigen Filmemacher bekommen haben könnte, spitzte Borns Verteidiger die Ohren: Denn dann hätte die Redaktion von Stern TV durchaus wissen können, dass ihr aufbereitetes Altmaterial oder komplette Fakes angeboten wurden."

Borns Anwalt stellt an diesem Tag den Antrag, seinen Mandanten gegen eine Kaution von 40.000 Mark aus der U-Haft zu entlassen. Fluchtgefahr bestehe nicht, weil er die Konsequenzen aus seiner Zeit als Fernsehjournalist ziehen wolle.

 
 
 
 
 
Der Fälscher und sein Anwalt - beide bemühen sich darum, die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in Richtung TV-Magazine zu verlagern, um ihnen eine Mitschuld an den Fakes nachzuweisen.

 

 
Das Gericht wird den Antrag in der folgenden Woche ablehnen, weil aufgrund der zu erwartenden Höhe der Haftstrafe - am Rande des Prozesses ist von über vier Jahren die Rede - akute Fluchtgefahr bestehe.
 
Freitag, 27. September 1996
 
Natürlich stehen die Aussagen der ersten TV-Prominenten im Zentrum der überregionalen Tageszeitungen. Michael Hanfeld, Prozessbeobachter der FAZ, konstatiert:
 
"Ihre Befragung gestaltet das Bild der Verantwortlichkeiten für das Gericht nicht gerade klarer. Liegt die Verantwortung alleine bei Born, dem Schöpfer der gefälschten Bilder? Haben die Cutter und Redakteure, wie Born behauptet, gewusst oder wissen müssen, dass es sich um gestellte Szenen handelte? Scheren sich die Chefredakteure darum, was ihre Mitarbeiter unternehmen, um an Bilder zu kommen?"
 
Zurück bleibt die Zustandsbeschreibung einer Branche, die in eine Falle getreten ist, die sie sich selbst gestellt hat. Dann das erste Urteil: Einer von Borns Helfern wird wegen Beihilfe zum Betrug zu 100 Tagessätzen von je 30 Mark verurteilt und aus der Haft entlassen. Übrigens ermittelt zu diesem Zeitpunkt die Kripo Koblenz immer noch gegen mehr als ein Dutzend möglicher Helfer oder Mitwisser um Born.
 
Mittwoch, 2. Oktober 1996
 
Über die Frage, wie es dem ehemaligen dritten Offizier auf einem Handelsschiff, gescheiterten Zoofachhändler und selbst ernannten Journalisten gelingen konnte, erfahrene Fernsehredakteure über Jahre hinters Licht zu führen, machen sich auch Redakteure Gedanken. Der Kölner Express ist konsterniert darüber, dass sich alle, die für den Einkauf der Filme zuständig waren, im Zeugenstuhl wanden:
 
"Die Überzeugung, dass alles so stimmte, fehlte bei uns“, erklärte Hilmar Rolff, Magazinchef bei RTL. Viele Beiträge des freien Journalisten seien gekauft, aber nie gesendet worden. Aber: Bis zu 28.750 Mark zahlten die Kölner pro Beitrag - weil man später noch mit Born Geschäfte machen wollte."
 
Ebenso wenig erkenntnisreich sind die Aussagen von Spiegel-Chef Stefan Aust, der sich in der komfortablen Lage befindet, dass sein Magazin nie einen kompletten Beitrag Borns gesendet, sondern nur mit Sequenzen des Materials gearbeitet hatte. Zweifel an der Echtheit der Bilder hatte er beim Beitrag über das „autonome Umtopfungskommando“. Darin wird wie erwähnt über den Verbleib der Urne mit der Asche des Neonazis Michael Kühnen spekuliert: Autonome hätten vor laufender Kamera Kühnens Urne auf dem Friedhof von Kassel ausgegraben und dann an anderer Stelle versteckt. Gleichzeitig zeigt Spiegel TV aus Gründen der Ausgewogenheit den Kühnen-Nachfolger und dessen frühere Verlobte, die ebenfalls eine Urne ausgegraben und an einem sicheren Ort verwahrt haben wollen. Aust: „Der Bericht hatte satirischen Charakter.“ Danach verabschiedet er sich aus dem Gerichtssaal.
 
Richtig spannend für Gericht und Publikum und richtig unangenehm für stern TV wird es dann bei der Aussage von Manfred Hering, der bis 1994 für das Magazin arbeitete. Er hat gemeinsam mit dem Angeklagten mehrere Reportagen für Günther Jauchs Sendung produziert. Born wirkt bei der Vernehmung Herings sichtlich nervös, Er wühlt in Prozessakten, flüstert immer wieder seinem Anwalt Jacob Sätze ins Ohr.
 
Sicherlich wird er dabei erwähnt haben, Hering habe ihm bei seinen Manipulationen Hilfestellung geleistet. Ein Gerücht, das seit der Frontal-Sendung im Februar unkommentiert im Raum steht. Ein Gerücht, das bislang wie eine Schutzbehauptung Borns wirkte, letztlich aber substanzlos blieb. Herings Aussagen werfen jetzt aber erstmals einen dunklen Schatten auf die redaktionelle Praxis in den Büros des Politmagazins. Denn an Details der Zusammenarbeit mit Born mag er sich kaum erinnern, obwohl er ihn einmal bei den Dreharbeiten begleitete und ein anderes Mal beim Schnitt eines Films beaufsichtigte.
 
Zunächst der Beitrag, in dem stern TV einer Lahnsteiner Chemiefirma vorwirft, für eine Bodenverseuchung an den Ufern der Lahn verantwortlich zu sein. Beweisführung: ein an der Wasseroberfläche treibender toter Fisch. Doch der geriet keineswegs zufällig ins Bild, sondern die Sequenz wurde kameragerecht inszeniert. Hering konnte sich partout nicht daran erinnern, um wie viele Meter der Kadaver umgelegt worden sei, um ihn vor das Objektiv zu bekommen. Born behauptet, es seien über hundert Meter gewesen. Hering räumt zunächst ein paar Meter ein, dann zwanzig, dreißig oder gar fünfzig. Weitere Einzelheiten mögen ihm über den Film, zu dem Born bereits gestanden hat, ein Interview mit einer Spaziergängerin gestellt zu haben, nicht in den Sinn kommen. 
 
Dann der Bericht über Unruhen in Bethlehem, in dem keine Aufnahme gestellt, dafür aber nach allen Regeln der Zunft manipuliert wurde. Born drehte 1992 Sequenzen in Bethlehem, Ramallah und Gaza und kaufte von einer israelischen Nachrichtenagentur Aufnahmen eines Bombenanschlags in der Altstadt von Jerusalem hinzu. Das Logo dieser Agentur ist für einige Sekunden auf dem Rohmaterial zu sehen. Born habe stern TV betrogen, so Schmengler in seiner Anklage, da er das hinzugekaufte Material als selbst gedreht ausgegeben habe. Born dazu: Ein „branchenüblicher“ Kunstgriff.
 
stern TV produzierte aus dem Material einen Film, der einen Bombenanschlag am Geburtsort Christi dokumentieren soll. Doch wie authentisch ist das Geräusch einer Explosion, wenn die im Moment der Detonation in den Aufnahmen zu sehenden Personen weder zusammenzucken noch Anstalten machen, sich in Sicherheit zu bringen?
 
Wie der Knall in den Beitrag gelangte, wollte der Richter von Hering erfahren. Doch die Erklärung dafür bleibt er dem Gericht schuldig. Er könne dazu lediglich sagen, dass Born ihm versichert habe, alle Aufnahmen seien authentisch. Da er noch nie in Israel gewesen sei, habe er das nicht überprüfen können. Fast wortgleich antwortet später Jauch auf diese Frage.
 
Born indes sagt, nicht er, sondern Hering habe den Film gefälscht. Der Ton sei per Geräusch-CD unter die Bilder gelegt worden, um eine Bombenexplosion zu suggerieren. „Dem müsste der Prozess gemacht werden, nicht mir“, fordert der TV-Fälscher. Woraufhin ihn Richter Ulrich Weiland darüber aufklärt, dass er dies nicht ahnden könne. Denn selbst wenn verantwortliche Redakteure Filmmaterial fälschen würden, wäre das zwar Betrug am Zuschauer, aber strafrechtlich nicht relevant. „Wenn Sie, Herr Born, als freier Produzent ein Magazin betrügen, indem sie diesem gefälschte Filme als authentisch verkaufen, dann ist das aber strafbar.“
 
Sichtlich erregt fordert daraufhin Borns Anwalt, Hering zu vereidigen, was der Richter mit dem Hinweis ablehnt, es sei möglich, dass sich der ehemalige stern TV-Redakteur an einer Straftat beteiligt habe. Er entlässt Hering unvereidigt, weil sich kein Zeuge vor Gericht selbst belasten müsse. Diesmal lässt sich Jacob allerdings nicht zu einem Protest hinreißen wie noch am 23. September: Da kam es zum Eklat, weil er dem Staatsanwalt vorwarf, die Ermittler hätten nur Interesse, Fälschungen von Born aufzudecken und nicht die der Sender.
 
Donnerstag, 3. Oktober 1996
 
Der verheerende Eindruck, den Hering nach seiner Entlassung im Gerichtssaal hinterlässt, verfestigt bei den Prozessbeobachtern auf der Pressebank den Eindruck, dass einzelne Redakteure nicht - wie bisher behauptet -ganz unschuldig an den Manipulationen seien.  Auch Staatsanwalt Walter Schmengler reagiert konsterniert: „Redakteure sind in der Regel doch intelligente Leute.“ Nach den Aussagen könne er daran selbst nicht mehr so recht glauben.
 
Gut zwei Wochen vor seiner Zeugenvernehmung erfährt Jauch aus der Presse Tatsachen, die Borns Vorwurf der Mitwisserschaft in einem glaubwürdigeren Licht erscheinen lassen. Die FAZ hatte beobachtet, wie sich Verantwortliche bei der Beweisaufnahme über die Umstände, unter denen Borns Fakes zu Stande kamen, verhalten:
 
"Dabei wiesen die Chefredakteure und Redaktionsleiter, wie schon an den Verhandlungstagen zuvor, Fragen nach einer eventuellen Mitverantwortung für Borns Fälschungen von sich und delegierten sie an ihre Mitarbeiter, an Redakteure und Cutter. Diese aber konnten sich bisher bei ihren Aussagen an die Einzelheiten, die das jeweilige Entstehen der Filme Borns erhellen könnten, immer dann, wenn es darauf angekommen wäre, nicht erinnern."
 
Es ist sicher, dass stern TV sich im Vorfeld des Prozesses mit Manfred Hering und anderen ehemaligen Mitarbeitern in Verbindung gesetzt hat, um die Strategie für den Prozess abzusprechen. Denn wann immer es im Koblenzer Landgericht um die Rekonstruktion der Dreharbeiten ging, haben sich die Mitarbeiter des Magazins mit einer Mischung aus exaktem Detailwissen präsentiert, wenn es darum ging, Born zu belasten, und Erinnerungslücken, wenn das Gericht auf ihre eigene Rolle zu sprechen kam.
 
Für die folgende Verhandlungswoche ist ein weiterer brisanter Termin anberaumt: die Stellungnahme von Claus Hinrich Casdorff, der als unabhängiger Sachverständiger die manipulierten Beiträge Borns aus medienwissenschaftlicher Sicht beurteilen soll.

 

 
 
 
 
 
 
 
Gutachter für TV-Fälschungen - der langjährige Chef des ARD-Magazin Monitor, Claus Hinrich Cadorff, hatte nie Fakes in seinem Programm, nun soll er die Stimmigkeit der Skandalbeiträge beurteilen.


 

Montag, 7. Oktober 1996


Damit steht eine der Kernfragen im Mittelpunkt: Hätten die betroffenen Sender und deren Mitarbeiter erkennen können, dass es sich bei Borns Filmen um teilweise oder vollständige Fälschungen handelte?

Casdorff begutachtet mehrere Filme: unter anderem einen in der Rohfassung zum Thema „Okkultismus in Deutschland“. Hier weist er nach, dass sich Personen beim Grabraub, so wie in dem Streifen gezeigt, niemals filmen lassen würden. Zum Bericht über die Chemiefabrik in Lahnstein räumt er dagegen ein, dass er keine Bedenken gehabt hätte, den Beitrag auch zu senden.

Mit Nachdruck widerspricht der TV-Profi, der 16 Jahre Chef der Monitor-Redaktion war, der Behauptung Borns, gestellte Szenen seien branchenüblich. Allerdings betont er, sein Wissen stamme aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und er kenne die Produktionsweise von stern TV nicht. Der Focus nutzt nach der Stellungnahme im Gerichtssaal die Gelegenheit für ein Interview mit dem 71-jährigen.

Montag, 14. Oktober 1996

Das Ergebnis können Jauch und Zaik an diesem Montag nachlesen. Es zeichnet der Öffentlichkeit ein fragwürdiges Bild von Jauchs Redaktion:

"Focus: Warum hat ausgerechnet Stern TV die meisten Fälschungen gesendet? Casdorff: Die genauen Gründe werden sich bald zeigen. Es sind einige Zeugen des Stern TV-Teams geladen, und da bin ich selbst sehr gespannt, was die dazu zu sagen haben. Focus: Müssen sich nun auch einige Redakteure auf einen Prozess wegen Fälschung von Informationsmaterial gefasst machen? Casdorff: (...) Man muss abwarten, was die Stern TV-Leute an Gegenargumenten liefern." 

 

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