Montag,
21. Oktober 1996
Eine Woche später stellt sich als erster Verantwortlicher von stern TV Günther Jauch den Fragen des Tribunals. Kurz vor ihm bestätigte Michael von Dessauer, stellvertretender Chefredakteur von Pro 7, die Version seines Chefs Berger - nämlich, dass der Beitrag von Born über ein Briefbombenattentat auf die Moderatorin Arabella Kiesbauer journalistisch „nicht wasserdicht“ gewesen sei.
Es ist der Höhepunkt des Prozesses. Denn mit Jauch steht auch die Glaubwürdigkeit des TV-Journalismus im Zeugenstand. Als er im Eiltempo auf den Zeugenstuhl zuschreitet - erwartet von Filmteams und Journalisten - kann er seine Anspannung kaum verbergen: ein in die Kritik geratener TV-Star, der einem Millionenpublikum wohl unwissentlich, aber dennoch vorgetäuschte Wahrheiten als sensationelle Enthüllungen verkauft hat.
Irritiert verfolgt er das Interesse der Medien an dem TV-Fälscher, der sich gerade zum Inaugurator eines neuen Fernsehjournalismus ausruft. „Wir sind auf dem Weg vom Infotainment zur Infofiction“, postuliert Born, dem Jauch die bitterste Niederlage seiner Karriere zu verdanken hat.
Eine Woche später stellt sich als erster Verantwortlicher von stern TV Günther Jauch den Fragen des Tribunals. Kurz vor ihm bestätigte Michael von Dessauer, stellvertretender Chefredakteur von Pro 7, die Version seines Chefs Berger - nämlich, dass der Beitrag von Born über ein Briefbombenattentat auf die Moderatorin Arabella Kiesbauer journalistisch „nicht wasserdicht“ gewesen sei.
Es ist der Höhepunkt des Prozesses. Denn mit Jauch steht auch die Glaubwürdigkeit des TV-Journalismus im Zeugenstand. Als er im Eiltempo auf den Zeugenstuhl zuschreitet - erwartet von Filmteams und Journalisten - kann er seine Anspannung kaum verbergen: ein in die Kritik geratener TV-Star, der einem Millionenpublikum wohl unwissentlich, aber dennoch vorgetäuschte Wahrheiten als sensationelle Enthüllungen verkauft hat.
Irritiert verfolgt er das Interesse der Medien an dem TV-Fälscher, der sich gerade zum Inaugurator eines neuen Fernsehjournalismus ausruft. „Wir sind auf dem Weg vom Infotainment zur Infofiction“, postuliert Born, dem Jauch die bitterste Niederlage seiner Karriere zu verdanken hat.
Im
Blitzlichtgewitter - Günther Jauch wirkt sichtlich angesannt als er zu seiner
brisanten, beinahe vierstündigen Zeugen-Vernehmung durch das Gericht in Koblenz
erscheint.
Jauch
weiß nicht, dass diese Vernehmung als dunkles Kapitel in seiner Vita
zurückbleiben wird. In der vierstündigen Vernehmung betont er, dass er zu
keiner Zeit Zweifel an Borns Integrität gehabt habe. Er sei zwar publizistisch
verantwortlich für die Beiträge, die zu seiner Zeit als Chefredakteur
ausgestrahlt worden sind. Allerdings habe er diese Position sowieso nur
angenommen, weil G+J als Produzent von stern
TV den vorherigen Chefredakteur Gerd Berger habe ablösen wollen. „Es war
keine andere Lösung in Sicht als ich“, sagt Jauch.
Es
dürfte in der deutschen Medienszene einmalig sein, dass ein ehemaliger langjähriger
ZDF-Mitarbeiter, Ex-Programmkoordinator der früheren DDR-Radiostation „Berliner
Rundfunk“ und anerkannt erfolgreicher Journalist um Verständnis dafür bittet,
Chefredakteur eines der beliebtesten TV-Magazine geworden zu sein.
Wie
alle Zeugen nennt der Moderator den TV-Fälscher einen untalentierten
Journalisten, wollte aber nicht so weit gehen wie etwa Claus-Dieter Clörs von
Tele Bremen, der in seiner Vernehmung zu Protokoll gab, er habe bei Born stets
„erhebliche Zweifel an der Echtheit seiner Reportagen“ gehabt. Denn sie
wirkten, als seien sie nach Regienanweisungen gedreht worden.
Jauch
betont demgegenüber, dass Born auch Qualitäten gehabt habe. So seien die von
ihm im Ausland gedrehten Bilder „ein Gutteil“ besser gewesen als die
internationaler Bildagenturen. stern TV
habe Born Aufträge gegeben, weil er „häufig die letzten zehn Prozent“ einer
Geschichte geboten habe, die andere Autoren nicht geschafft hätten. Etwa im
Fall des Beitrags über die angeblichen Aktivitäten des Ku-Klux-Klan in Deutschland,
der erst nach der Bildsensation mit den Kapuzenmännern ausgestrahlt wird. Die mittlerweile eingestellte Wochenzeitung Die Woche klärt ihre Leser über die
Folgen dieses Berufsverständnisses auf:
"So führt der journalistisch berechtigte Wunsch nach Exklusivität, nach „dem
Besonderen“ (Jauch) bei freien Mitarbeitern im Privatfernsehen zu Zwängen. Wenn
die letzten zehn Prozent fehlten, wurde Born nach eigener Aussage seine
Beiträge nicht los. (...) Also lieferte er gefälschte Enthüllungen. Und bis zur
Enthüllung war Stern TV zufrieden. Die Redaktion bekam Schlagzeilen in den
Medien, machte Quote und erzielte Werbeumsatz."
Aber
keiner sei je auf die Idee gekommen, dass die Bilder inszeniert oder komplett
gefälscht sein könnten. „Es hat uns nie jemand gewarnt, passt auf, da stimmt
was nicht“, sagt Jauch. Auf Nachfrage räumt er dann doch noch ein, dass sein
Magazin relativ früh vom WDR
über unsauberes Arbeiten von Born informiert worden war. Nämlich nach dem Film,
den Born exklusiv an ZAK verkauft
hatte, der vorher aber schon im Programm von Tele 5 zu sehen gewesen war. Jauch dazu: Es sei ein „Sport“
freier Mitarbeiter, Material zweimal zu verkaufen.
Tagtäglich
würden im Fernsehen Szenen nachgestellt, um Text unterlegen zu können, und
dabei Archivmaterial verwendet, ohne dies kenntlich zu machen. Das halte er für
zulässig. Ebenso, dass es bei stern TV
gewisse Vorgaben für Beiträge gebe, „was wir uns redaktionell vorstellen“. Immer
wieder betont er, dass ihm bei der Endabnahme der Beiträge nichts aufgefallen
sei. Er achte nur auf die Stimmigkeit des Films, nicht darauf, ob er stimmte.
Jauch stößt damit auf Unverständnis bei Anwälten und Richter, gerät in
Erklärungsnot. Er
moderiere frei, mache sich Stichworte bei der Abnahme und sehe den Film erst
kurz vor der Sendung, um auf diese Weise den Zuschauer emotional ansprechen zu
können: „Aber ich gehe von der Richtigkeit der Fakten aus“, sagt Jauch. Die aus
heutiger Sicht augenfälligen Fälschungen seien bei den innerredaktionellen
Prüfungen nicht zu erkennen gewesen.
Der
SZ-Prozessbeobachter Michael Bitala hat sämtliche Beiträge inklusive
Rohmaterial gesehen und ist anderer Meinung:
"Im Prozess gegen den Fernsehfälscher Born häufen sich die Indizien, dass die
Magazinmacher von den Machenschaften wussten, aber das ist offenbar nicht strafbar.
(...) Wer (...) das Rohmaterial (...) sieht, der fragt sich, warum die
Mitarbeiter von „stern TV“ gleich ein Dutzend Beiträge aus diesen chaotischen
Filmschnipseln basteln konnten, ohne je Verdacht zu schöpfen."
Auch
der angeklebte Bart eines angeblichen Jägers, der Katzen erschießt, sei Jauch
entgangen. „Wenn der Bart wissentlich angeklebt war, dann ist das kein Grund,
den Beitrag nicht zu senden. Aus gutem Grund werden Leute im Fernsehen
unkenntlich gemacht, die unerkannt bleiben wollen“, erklärt der Moderator. Zwischenzeitlich
sucht er häufiger Blickkontakt zu seinem juristischen Beistand Winfried Seibert
im Publikum. Doch auch der kann nicht mehr verhindern, dass sich die Befragung
ganz offensichtlich immer mehr zu einer Farce entwickelt. Eine Wende, die auch
dem FAZ-Beobachter nicht entgeht:
"Genau hinsehen, was er dem Publikum (...) an Filmbeiträgen bietet, kann der
Moderator nicht. Zweitausend Filme, die gesendet worden sind, und noch einmal
300 oder 400 die nicht ins Programm kamen, habe er für Stern TV gesichtet,
sagte Günther Jauch (...). Wie soll er da auf solche Kleinigkeiten wie den
angeklebten Bart des Forstmanns achten?"
Ob
er sich nicht gewundert habe, dass die Personen bei der Bombenexplosion in
Bethlehem nicht reagieren? Die Woche hält fest:
"Mit seiner Antwort provoziert der Moderator ungewollt dröhnendes Gelächter im
Publikum. „Dort unten kracht es sehr oft, dort haben sich die Leute schon daran
gewöhnt.“ (...) Jauch zuckt kurz zusammen, wendet sich dem Publikum zu und
wiederholt wie abwesend: „Das ist so. Da kracht es eben oft.“ Er wirkt verstört
über die Heiterkeit in einem Prozess, der seinen Ruf schädigt."
Der
Vorsitzende der Strafkammer insistiert und will wissen, ob er in Borns
Rohmaterial keine Unstimmigkeiten erkennen konnte. Jauch: „Ich bin im Grunde
noch nie in einem Schneideraum gesessen.“ Dafür seien Redakteure, Chefs vom
Dienst und Cutter zuständig. Wenn er moderiere, sei er so unter Druck, dass er
sich nicht um das Alltagsgeschäft kümmere.
Dieses
Eingeständnis wirft einen Blick auf das eigene journalistische
Selbstverständnis. In den kommenden Tagen wird er von einer Welle der Kritik
überrollt. Auch
der Anwalt des mitangeklagten Born-Assistenten Peter Martin insistiert und
fragt nach, ob er die Richtigkeit der Filme nicht überprüfe. Jauch antwortet
gereizt, dass er seiner Redaktion und dem Autor vertraue.
Die
FAZ bringt ein prozesscharakteristisches Phänomen auf den Punkt: Je genauer
nämlich die Fragen nach der Zusammenarbeit mit Born werden, umso mehr
verschwimmen die Verantwortlichkeiten. Ergebnis: Am Ende ist niemand mehr für
etwas verantwortlich:
"Der Moderator verlässt sich auf den Chefredakteur, (...) Redakteure und Cutter,
und diese verlassen sich auf die Autoren. Und die Zuschauer (...) darauf, dass
die Töne nicht verzerrt und die Bilder nicht gestellt sind. Das aber können sie
(...) gerade nicht. (...) Dass seriöser Journalismus dort aufhört, wo Stern TV
beginnt, (...) stand in Koblenz leider nicht zur Debatte."
Nach
seiner Entlassung aus dem Zeugenstuhl gibt Jauch auf dem Gerichtsflur spontan
eine Pressekonferenz und spricht im Scheinwerferlicht seinen Schlusskommentar
in die Kameras: „Born hat uns und die Zuschauer betrogen. Wir sind Opfer.“ Für
ihn scheint damit das Kapitel Born abgeschlossen zu sein.
Dienstag,
22. Oktober 1996
Mit
diesem seit Beginn des Falls stets wiederholten Statement kann sich Jauch bei
seinen Kollegen in den Redaktionsstuben längst nicht mehr durchsetzen. Bei TAZ
herrscht Unverständnis:
"Weiß der Mann überhaupt, dass er beim Fernsehen arbeitet? Egal. Das treffendste
Statement kam vor Wochen vom ehemaligen Chef des Schweizer Fernsehmagazins „10
vor 10“, Ulrich Haldimann. Man stelle sich als Redakteur die Frage, ob ein
Bericht plausibel, aber nicht, ob er gefälscht sei. Damit war er wohl der
einzige, der die Wahrheit sagte - in einem Tribunal, in dem die prominenten
Zeugen beim Versuch sich reinzuwaschen genauso viel lügen wie der Angeklagte."
Jauchs
Bekenntnis, noch nie in einem Schneideraum gewesen zu sein, ist für die TAZ
Anlass für eine Umfrage unter Moderatorenkollegen. Das Blatt will wissen, ob
für sie der Schneideraum ebenfalls Terra incognita ist.
Freitag,
25. Oktober 1996
Wenig
später sind die Antworten nachzulesen. Sie nehmen dem gestrauchelten TV-Star
den Rest seiner Journalistenehre:
"Ein Magazinleiter, der seinen Titel verdient, verbringt einen großen Teil
seiner Zeit im Schneideraum. Wer sich nicht intensiv um die Beiträge kümmert,
wird zum Ansager.“ (Bodo Hauser auch für Ulrich Kienzle, Frontal, ZDF) „Ich bin
noch nie in einem Schneideraum gesessen, in dem Günther Jauch gesessen hat.“
(Friedrich Küppersbusch, Privat fernsehen, ARD)
Jauch
weiß spätestens seit dem Auftritt im Januar in Erich Böhmes Talk im Turm, wie sehr ihn sein
Berufsstand beobachtet - besonders auch Die Woche. Doch trotz
monatelanger Vorbereitungen auf den Prozess erlebt er erneut ein Waterloo:
"Als der Vorsitzende Richter Jauch mit den Worten „Das war es für Sie heute“ ohne
Vereidigung entlässt, kontert er mit: „Das klingt ja wie eine Drohung.“ (...)
Das öffentliche Kreuzverhör ist ausgestanden. (...) Persönliche Konsequenzen jedenfalls schließt
Jauch als Hauptbetroffener des größten deutschen Fernsehskandals für sich aus."
Gibt
es eine stichhaltige Erklärung dafür, warum er sich derart selbst demontiert?
Wenn, dann doch nur die folgende: In seiner Redaktion ist es an ihm vorbei zu
Unregelmäßigkeiten gekommen, die ein wohl weit größeres Ausmaß haben, als sich
bisher abzeichnet.
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