Mittwoch, 8. April 2015

Der Fake Faktor - Eröffnung der Schlammschlacht

Auch in der Redaktion von stern TV überschlagen sich die Ereignisse. Zwischen Konferenzen und Abnahmen immer wieder Gespräche mit Justiziar Seibert, zudem die zunehmende Kritik durch die Medien. Dann noch zu allem Überfluss der ausstehende Bericht in Frontal. Die Stimmung in Köln ist bis zum Bersten gespannt. Die mitten in Sendevorbereitungen steckende Crew sehnt den Abend herbei, damit Klarheit besteht, wie Frontal berichtet. Um 21.00 Uhr versammeln sich um Moderator und Chefredakteur einige ihrer Kollegen vor den Fernsehgeräten.

Dann bezichtigt das Frontal-Duo Bodo Hauser und Ulrich Kienzle vom ZDF das Konkurrenzmagazin, in der Vergangenheit aus Quotengier die journalistischen Spielregeln außer Kraft gesetzt zu haben. Frontal stellt stern TV öffentlich als Hauptbetroffenen mehrerer mutmaßlicher Born-Betrügereien an den Pranger. Die Redaktion von stern TV ist nach diesem Eklat einmal mehr entsetzt. Einziges Trostpflaster für die verletzte Journalistenseele: Vorbei an den in der Presse gerade noch gelobten redaktionellen Sicherungsmechanismen des öffentlich-rechtlichen Parademagazins unterläuft Frontal bei der Abnahme des Beitrags ein Fehler.

Der Beitrag zeigt Ausschnitte aus dem angeblich gefälschten stern TV-Material, in dem ein bärtiger Mann durch das Bild läuft. Dazu heißt es auf der Tonspur: „Das ist Michael Born“ - eine Falschinformation. Und ein gefundenes Fressen für den unter Beschuss stehenden Jauch und seine am nächsten Tag folgende Ausgabe.

Mittwoch, 24. Januar 1996

Über die Anzahl der Szenarien für eine möglichst glaubhafte Entschuldigung, die bis zum Abend in der Redaktion vorgeschlagen, diskutiert und verworfen wurden, kann man nur spekulieren. Irgendwann ist die Entscheidung für eine Pflicht und eine Kür unter dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ gefallen.

Auch dies ist aus Kommunikationssicht erstaunlich. Denn eigentlich sollte stern TV alles daran setzen, dass die Situation nicht weiter eskaliert, um Imageschäden oder einen Vertrauensverlust beim Zuschauer abzuwenden. Als Jauch um 22.10 Uhr auf die Bühne tritt, sind die Augen der Fernsehnation auf ihn gerichtet.

Mit wenigen Worten leistet der Moderator persönlich und für die Sendung vor einem Millionenpublikum Abbitte: Er stelle sich der Verantwortung, aber der kriminellen Energie eines betrügerischen Reportagelieferanten seien Fernsehredaktionen geradezu schutzlos ausgeliefert. Die Machenschaften hätten großen Schaden für die Glaubwürdigkeit des Fernsehens angerichtet. So weit die Pflicht, die nicht einen Millimeter über die bisherige Argumentationslinie hinausgeht. Es folgt die Kür in Form eines Beitrags.

Per Senderlogo stellt stern TV zunächst öffentlich-rechtliche wie private TV-Sender als Born-Kunden vor. Darunter auch Spiegel TV, dem ausführlich Fehler nachgewiesen werden. Wie etwa in dem Beitrag über eine angeblich gestohlene Urne mit der Asche des Neonazis Michael Kühnen. Borns-Aufnahmen sind darin mit „Fälschung“ insertiert, die authentischen Bilder mit dem Schriftzug „internationale Archivbilder“ versehen. Born habe einem Spiegel TV-Mitarbeiter diese sensationelle Geschichte besorgt, heißt es auf der Tonspur, ein Schwindel, auf den Spiegel TV hereingefallen sei.






Unter Beobachtung - nach Bekanntwerden der Fälscher-Serie interessiert immer mehr, was sich nicht nur im Studio, sondern besonders hinter den Kulissen von stern TV abspielt.






Oder Frontal: Jauch lässt es sich nicht nehmen, den Kollegen, die noch am Tag zuvor über die Versäumnisse von stern TV berichtet hatten, nun den erwähnten Fehler in ihrem Film nachzuweisen. „Die haben sich geirrt“, sagt er in der Sendung, „der Mann ist ein ehemaliger Mitarbeiter.“ Eine folgenschwere Äußerung. Denn damit rückt eine bis dahin zwar den ermittelnden Behörden, aber nicht den Medien bekannte Tatsache in den Vordergrund: die Mitarbeit eines Redakteurs von stern TV an einer Reportage des TV-Fälschers. Nichts anderes als eine Steilvorlage, auf die gewiefte Boulevardjournalisten nur warten - unter ihnen auch Autor Kuhn in München bei der AZ. 

Freitag, 26. Januar 1996

Doch zurück zu der Entschuldigung. In den Redaktionen der Tages- und Wochenzeitungen löst die nicht eben subtil betriebene Kollegenschelte Jauchs Unverständnis aus. Michael Hanfeld von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) reagiert mit gespitztem Griffel:

"Mit Siebenmeilenstiefel-Schritt trat Günther Jauch aus der Kulisse, (...) gestand, dass sein Magazin mehrfach auf einen Fälscher hereingefallen sei. (...) Angriff würde er für die beste Verteidigung halten, soviel war zu erwarten. Dass Steine aus dem Glashaus zu werfen seine ganze Strategie sein würde, allerdings nicht." 

Jetzt rächt sich, dass sich sein Kommentar als Hauptbetroffener darin erschöpfte, aufzuzeigen, wie andere dem Schwindel-Journalisten auf den Leim gingen. Immer mehr Blätter wollen genauer wissen, wie das Magazin die Beiträge freier Mitarbeiter nachrecherchiert, stellen kritische Fragen nach dem Redaktionsalltag beziehungsweise den internen Sicherungsmechanismen.  Der Rheinische Merkur fragt:

"Hat sich das Medium selbst eine Falle gestellt in seiner unersättlichen Gier nach sensationellem Material oder deckten sich möglicherweise die gefälschten Inhalte mit der Auffassung der Journalisten?“ 

Das Hamburger Abendblatt hält fest, dass Jauch den Knackpunkt „listig übergangen“ habe:

"Die Gier, vor allem der Kommerzmagazine, auf quotensteigernde Storys und heiße Bilder schaffe erst die Voraussetzung für den Betrug, der dem Medium insgesamt schadet.“

Der Kölner Stadtanzeiger schreibt, dass Jauch „Krokodilstränen vergoss“, als er den großen Schaden beklagte, der der Glaubwürdigkeit des Fernsehens zugefügt worden sei.

Der Ton in den Artikeln zeigt: Unter dem Strich hat das Magazin in wenigen Minuten den Kredit unter seinen Berufskollegen verspielt, den er in langen Jahren zuvor aufbaut hatte. Und nüchtern betrachtet: Warum erhebt die scharf unter Beschuss stehende Redaktion mit Vehemenz Vorwürfe gegen andere TV-Reaktionen, anstatt eigene Fehler einzuräumen oder Betroffenheit - besonders gegenüber dem Publikum - zu demonstrieren? 

Sicherlich haben einzelne Berichte wie im Spiegel, in denen stern TV nicht eben einen guten Eindruck machte, dazu beigetragen, dass sich die Stimmung emotional aufheizen konnte. Hinzu kommt, dass die Kölner Redaktion von Frontal der gesamten Mediennation als unseriös vorgeführt wurde. In diesem Spannungsfeld scheinen schließlich die Außen- und Innensicht in Köln immer stärker auseinander zu driften - mit dem bekannten Ergebnis. Unter dem Strich wird die letzte Möglichkeit vergeben, Polemik aus dem Skandal zu nehmen. stern TV soll von nun an nicht mehr aus der Schusslinie kommen.

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