Donnerstag,
1. Februar 1996
Trotz aller Verzweiflung, die sich in den kurzen Tagen des Skandals auf den Fluren des Stern in Hamburg festzusetzen scheint, weiß G+J natürlich: Der ins Trudeln geratene TV-Star - das Zugpferd der Fernsehaktivitäten im Konzern - kann nicht ohne Weiteres fallen gelassen werden.
Zwei Wochen nach dem Beginn des Schlagabtauschs bringt der Stern ein Interview mit Jauch. Ein Schritt, den - wie gesehen - Spiegel und die SZ bereits vor Tagen als opportun erachtet hatten, um sich in eine günstige Ausgangslage zu manövrieren.
Stern: "Der freie Fernsehjournalist Michael Born (...) hat bei stern TV mindestens sechs gefälschte Beiträge untergebracht. Wie konnte das passieren? Jauch: Er war uns seit langem bekannt, er hat Beiträge geliefert, die nicht zu beanstanden waren, und er war bei vielen großen, renommierten Sendern und Sendungen bestens eingeführt. Deswegen haben wir ihm vertraut, deswegen war an seiner Arbeit zunächst nicht zu zweifeln.“
Jauch geht wiederum nicht en Detail auf das Thema Sorgfaltspflicht ein, sondern verweist darauf, dass Born auch für andere renommierte Sender tätig war - als ob dies eine Garantie für journalistische Glaubwürdigkeit sei. Dabei musste er sich erst vorhalten lassen, dass Vertrauen zwar gut, aber Kontrolle doch besser ist. Ihm ist es unmöglich, verlässlich Auskunft zum Stand des Skandals zu geben.
Stern: "Wird sich die Affäre noch ausweiten? Jauch: Ich stehe auch als Chefkoch einer Gerüchteküche, deren Dunsthaube ausgefallen ist, nicht zur Verfügung. Ich kann nicht ausschließen, dass noch mehr Beiträge zu beanstanden sind, aber ich will eben auch nicht spekulieren.“
Humoristische Wortspielereien sind eines der Markenzeichen des TV-Stars. Sie täuschen aber nicht darüber hinweg, dass die Stimmung beim Stern wegen möglicher weiterer Enthüllungen frostig ist. Das Vertrauen nähert sich immer mehr dem Nullpunkt.
"Stern: stern TV und Stern sind voneinander unabhängig, aber wir kooperieren von Fall zu Fall, nach unseren Erkenntnissen haben die Fälschungen in unserem Heft keinen Niederschlag gefunden. Ist das richtig? Jauch: Ja. (...) Stern: Welche Konsequenzen zieht „stern TV“ aus der Affäre, welche Konsequenzen ziehen Sie persönlich? Jauch: Unsere erste Konsequenz war, dass wir als bisher einziges TV-Magazin Anzeige gegen Michael Born erstattet haben und mit der Staatsanwaltschaft sehr gut zusammenarbeiten. Niemand ist mehr an der restlosen Aufklärung interessiert als „stern TV"."
Sicherlich. Aber abgesehen von der Tatsache, dass stern TV zwischenzeitlich ganz offensichtlich der Draht zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft verloren gegangen ist, was trägt Jauch, der diese Aussage bei jeder Gelegenheit beinahe gebetsmühlenartig wiederholt, dazu aktiv bei? Er stellt eben nicht dar, wie Born redaktionelle Sicherungssysteme oder Redakteure ausgetrickst hat, genauso unerklärt bleibt, wie sich in Zukunft die Abnahme der Beiträge, die Auswahl und Recherche der Themen gestaltet. Sondern er sucht einmal mehr Schutz hinter der wenig aussagekräftigen Tatsache, stern TV habe Strafanzeige gestellt.
Fehlanzeige auch in Sachen persönlicher Konsequenzen - Jauch übergeht diese Frage schlicht, er hat sich „nichts vorzuwerfen“ und sieht daher auch keinen Bedarf, Verantwortung zu übernehmen. Gerade aber für dieses Thema interessiert sich die seit Frühjahr 2002 nicht mehr erscheinende Wochenzeitung Die Woche. Autor John Kreuschmer macht sich über den Moderator lustig:
"Liebe Zuschauer! Bisher ist zwar einiges schief gelaufen, aber diesmal, glauben Sie mir, diesmal haben wir wirklich recherchiert!“ Wollen Sie, der Sie besonders häufig Beiträge ausstrahlten, die aus der Fälscherwerkstatt des Michael Born stammten, demnächst jede Moderation bei „stern TV“ mit diesen Worten beginnen? (...) Wie sind Sie bloß auf die Idee mit dem investigativen Journalismus gekommen?"
Natürlich ist Polemik das Markenzeichen des Artikels, aber er ist gleichzeitig repräsentativ dafür, wie tief Jauchs Stern gesunken ist. Es ist nur konsequent, journalistische Fehltritte aus seiner Vergangenheit zu thematisieren oder Nebenjobs anzusprechen, die so gar nicht zum Berufsbild des Journalisten passen.
"Als „Stern TV“ den Tod eines bosnischen Jungen in aller Brutalität zeigte, putzte sich Jauch an seinen französischen Kollegen ab. Die hätten den Film schließlich gedreht, er habe ihn nur gesendet. Als Jauchs Werbetätigkeit für das dubiose Direktvertriebsunternehmen Amway aufflog, antwortete Jauch: Niemand sei „richtig reingelegt, also belogen“ worden. Später aber brandmarkte er die Nebentätigkeit seines Kollegen Ulrich Wickert. (...) Keine Frage: Im harten Wettbewerb um Quoten und Millionengagen können schon einmal Fehler passieren. „Stern TV“ aber hat zu viele gemacht, Günther Jauch zu oft den Ahnungslosen gespielt. Es wird Zeit, dass er endlich einmal Verantwortung übernimmt."
Die Woche trifft Jauch mit diesen Zeilen an einer sensiblen Stelle: seiner Eitelkeit als Journalist. Doch der hat sich wohl mit dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit abgefunden. Er wird zum Spielball der Medien.
Wie reagieren unterdessen die Mediaagenturen, die für den Verkauf der Werbeplätze im TV verantwortlich sind? Ist es zu einem Vertrauensverlust oder Werbestornierungen bei stern TV gekommen? Keineswegs: Ob in den Häusern Media Consult und Bates in Frankfurt am Main oder Springer & Jacoby Media in Hamburg - die Verkäufer der Werbeplätze halten das Magazin weiterhin für glaubwürdig.
Mit professioneller Nüchternheit zieht Werbeprofi Manfred Krupp, der Geschäftsführer von Mediapolis-Horizons in Frankfurt am Main, eine Zwischenbilanz: „Man kann ja bösartig sagen, wenn gefälschte Berichte gut gemacht sind, dann erfüllen sie ihren Zweck.“ Es sei doch nur der Anspruch von stern TV, seriös zu berichten. Für die Kunden, für die die Sendung bisher gut gewesen sei, sei sie auch weiter gut.
Zurück zu stern TV: Am Wochenende rächt sich, dass das Magazin die Vorwürfe zum fragwürdigen Bericht über den Sprachreisenveranstalter aus Itzehoe, Jürgen Matthes, nie nachhaltig aus der Welt geschafft hat.
Sonntag, 4. Februar 1996
Denn der hat seine Story im Axel Springer Verlag untergebracht und droht via Bild am Sonntag (BamS) mit einer Klage gegen stern TV auf Schadenersatz:
"Durch die Fälschungen (...) haben Stern TV und seine Mitarbeiter unserem Familienbetrieb einen Schaden in siebenstelliger Höhe zugefügt. Diesmal geht's um den Beitrag eines Münchner Filmemachers über Sprachreisen nach Eastbourne. „In dem Bericht, den Stern TV im Sommer vergangenen Jahres ausstrahlte, torkeln betrunkene Jugendliche durchs Bild. „Der Bericht ist in vielen Teilen gefälscht“, sagt der Veranstalter."
Es ist davon auszugehen, dass sich zu diesem Zeitpunkt bereits G+J-Justiziare hinter den Kulissen mit dem Fall beschäftigen. Ihr Job ist es, einen möglichst wenig öffentlichkeitswirksamen Vergleich zwischen Matthes und stern TV herbeizuführen. Ein Prozess wäre angesichts möglicher weiterer Enthüllungen durch die nach wie vor ermittelnde Staatsanwaltschaft für das Politmagazin eine Katastrophe.
Die Zeit drängt. Es mehren sich Indizien, dass es in der Redaktion tatsächlich zu Manipulationen gekommen ist. Denn stern TV, so heißt es in der Klageerwiderung des Münchner Filmemachers, habe sich nicht an die Originalversion des Beitrags gehalten. Jauchs Redaktion habe eigenmächtig Änderungen vorgenommen und Zitate verwendet, die der Münchner nicht geliefert hatte.
Die BamS-Chefredaktion hat mit der Veröffentlichung nicht lange gezögert. Kommt der Reiseveranstalter doch wie gerufen. Sein Fall ist eine Einladung, um gegen den Wettbewerber G+J zu polemisieren. Auf Rücksprache mit den Betroffenen zur Überprüfung der Behauptungen verzichtet das Springerblatt. Wozu sich womöglich durch eine Gegenrecherche eine die Auflage in die Höhe treibende Geschichte kaputtmachen? Für Fairplay ist in dieser Zeit kein Platz.
Montag, 5. Februar 1996
Jauchs Absturz gibt G+J beziehungsweise RTL immer mehr Grund zur Besorgnis, wie der Focus, der selbst mit Hochdruck an einem in wenigen Wochen startenden TV-Format arbeitet, zwischen den Zeilen wissen lässt.
"RTL-Chef Helmut Thoma, G+J-Vorstandsvorsitzender Gerd-Schulte Hillen, und Bertelsmann-Top-Manager Rolf Schmidt-Holz versuchen sich als Telefonseelsorger. Ihren Beistand brauchte Günther Jauch (...). Seit bekannt wurde, dass der Bildschirmsmartie (...) mindestens elf als gefälscht geltende Beiträge angesagt hat, ist sein properes Image angekratzt."
Man kann weiter gehen als der Focus-Autor: Die Affäre um den TV-Fälscher Born ist allmählich zum „Skandal um Günther Jauch“ geworden, der auf dem Weg ist, seinen Ruf zu verspielen.
Mittwoch, 7. Februar 1996
Auf den TV-Liebling schießen sich jetzt auch die Blätter der Regenbogenpresse ein. Jauch ist wegen seiner Fehlleistungen zur Zielscheibe von Spott geworden. Die Zwei diskreditiert den TV-Star:
"Jauch hält sich für einen begnadeten Journalisten. Zeitschriften, die über Königshäuser berichten, hält er für unseriös, die Käufer für dumm und ungebildet. Jauch glaubt, dass in diesen Blättern nicht immer die Wahrheit steht. Was für ihn aber besonders peinlich ist: Er hat nicht eine einzige Story nach dem Wahrheitsgehalt überprüft."
Dies ist sicherlich unzutreffend. Aber mittlerweile gehen auch Medienfachblätter - hier informieren sich Journalisten über die Vorgänge im eigenen Berufsstand - auf Distanz zu Jauch. Der Fachdienst rundy bittet den Ex-Chefredakteur der Bunte, Armin Wagner, um Antwort auf die Frage, ob Jauch die Fälschungen nicht hätte erkennen müssen:
„Sicher. Aber sicher ist niemand. Natürlich ist Stefan Aust mit seiner Spiegel-Maschine aus gelernten Redakteuren besser dran als ein Jauch, der aus der Showbranche kommt und statt Journalismus eher Tingeltangel gelernt hat.“
Natürlich hat Wagner die Beiträge weder in Ausschnitten noch in voller Länge oder gar in Form des Rohmaterials jemals zu Gesicht bekommen. Danach fragt aber niemand mehr. Jauchs Image befindet sich in der Branche im freien Fall, die mit Volldampf an weiteren Enthüllungen recherchiert.
Donnerstag, 8. Februar 1996
Kein Wunder, denn der nach einer Focus-Umfrage erst kürzlich zum beliebtesten Deutschen gekürte Starmoderator ist Garant für hohe Auflagen. Die Bunte steigt ein:
"Was tut Jauch jetzt? 1. Er hat Stefan Aust einen Brief geschrieben mit dem „guten Rat“, den „Günther Kujauch“ nicht zu wiederholen. 2. Er hat die (wg. Imageschaden) besorgte Stern-Redaktion im Nacken. Jauch: „Wir kriegen Hilfe aus Hamburg vom Verlag, auch juristische Hilfe. Wir haben Rechercheure im Ausland, die irgendwelchen Geschichten nachgehen.“
Solche Andeutungen sind es, die sein Image in der Öffentlichkeit zu ruinieren drohen. Warum wird er nicht konkret und erklärt, dass der Beitrag um den Sprachreiseunternehmer gerade noch einmal gegenrecherchiert wird? Aber er weicht ein weiteres Mal aus. Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem sich weitere bedrohliche Szenarien zusammenbrauen. G+J intensiviert die Bemühungen, auf juristischem Weg Schadensbegrenzung herbeizuführen.
Die Bunte lässt die Chance nicht aus, darauf hinzuweisen, wie Menschen nach einem offensichtlichen Fehler reagieren:
"Typ 3 ist es seinem Stolz schuldig, wieder Klasse zu bekommen, indem er sich öffentlich bekennt. Typ 4 belügt sich selbst und denkt, es merkt keiner. Nun hat Jauch, der große Junge, statt 3 die Version 4 gewählt, wo er durch öffentliches Bekenntnis zum wirklichen Helden hätte werden können. Er wird den Tag, als er seine Ehre verlor, nie vergessen. Das Publikum schon."
Es ist kaum zu glauben, aber der Autor wird mit der gewagten Prognose Recht behalten. Zunächst sticht aber die Illustrierte Gala nach. Sie gibt für eine Titelgeschichte über erfolgreiche Frauen, die den Ruf des Fernsehens retten sollen, und über Männer, die ihre Reputation verspielen, eine Forsa-Umfrage in Auftrag.
Das Ergebnis ist für Jauch, der bis vor Kurzem ein Symbol für Seriosität im deutschen Fernsehen war, wenig erfreulich. Grund: Nachdem der Frontmann von stern TV den Fakes aufgesessen ist, halten ihn nur noch 58 Prozent der Befragten für glaubwürdig. Sein Ansehensverlust bleibt nicht nur auf Zuschauer beschränkt. Auch die taktischen Spielereien sorgen im eigenen Berufsstand für Unmut. Nicht zuletzt ausgelöst durch die Informationspraxis kommen immer mehr Redakteure auf die nahe liegende Frage: Auf welche Weise hat Born eigentlich in den fraglichen Beiträgen der Wahrheit nachgeholfen?
Das Regenbogenheft Super Illu springt auf den an Fahrt gewinnenden Skandal-Zug, um seinen Lesern einen mutmaßlich gefälschten Born-Film aus dem Jauch-Magazin vorzustellen:
"Der spektakulärste Fall: Mit vorwurfsvollem Dackelblick kündigte er einen Beitrag über Kinderarbeit in Indien an. Auf dem Bildschirm dann ärmlich gekleidete Jungen, die einen Ikea-Teppich knüpften und später ihre kleinen Hände hilfesuchend durch das Gitter der Firma streckten. Fälschung total: Die Kinder waren in Wirklichkeit die Söhne eines wohlhabenden Fabrikbesitzers, dessen Firma mit Teppichproduktion nichts zu tun hat."
Super Illu eröffnet eine neue Front, an der stern TV einmal mehr der Aktualität hinterherhetzen muss. Denn Ikea kündigte dem indischen Teppichproduzenten, in dessen Firma gar keine Kinder arbeiteten, nach der Sendung den Auftrag.
Samstag, 10. Februar 1996
Zwangsläufig stellen sich die Medien nun die Frage, wie es überhaupt in TV-Magazinen zugeht. An diesem Wochenende gibt die SZ erste Eindrücke, indem sie den TV-Fälscher, der Millionen Zuschauer getäuscht hat, zu Wort kommen lässt:
"Was das Fernsehen betrifft, kann sich der normale Zuschauer keine Vorstellung machen, wie er von vorne bis hinten belogen wird, wie die Gier nach Sensationen keine Grenzen mehr kennt.“ Viele seiner spektakulären Bilder sind echt. Und da Born auch gute Kontakte zur autonomen Szene, zur PKK und zu Palästinensern hat - ein Photo zeigt Born mit Arafat - nahmen die Magazinmacher leichtgläubig auch Filme über Kinderarbeit in Indien (oder) kurdische Bombenbastler."
Leichtgläubig oder nicht - solche Themen stehen eben jedem investigativen Politmagazin gut zu Gesicht. stern TV ist im Zuge des zunehmenden Konkurrenzdrucks im Kampf um Einschaltquoten und Werbegelder zwischenzeitlich aber auch Abnehmer für dubiose Inhalte geworden, die nicht so recht zum seriösen Image passen wollen.
"Nur, wie ist es Born gelungen, frei Erfundenes wie die Katzenjäger unterzubringen? Er kam doch nur mit chaotischem Rohmaterial. Weil er kein guter Journalist ist, sagt Zaik, haben wir ihn eng an die Redaktion gebunden.“
Das erfolgreichste Politmagazin im deutschen TV, das in seiner Eigendarstellung Anfang des Jahres noch höchste journalistische Tugenden für sich beanspruchte, arbeitet demnach immerhin über einen Zeitraum von fünf Jahren mit einen schlechten Journalisten zusammen! Dann gerät das Magazin durch den ehemaligen Mitarbeiter Martin Lettmayer, der dort von August 1994 bis Ende Dezember 1995 als Redakteur beschäftigt war und in seinem Dokumentarfilm „Verschlusssache Atomtod“ unsauber gearbeitet hatte, zusätzlich in die Defensive:
"Der Autor behauptet, dass Kinder Opfer einer Strahlenkatastrophe im Ural geworden seien, diese Sequenz in einem Haus in Tscheljabinsk gedreht worden seien. Doch die Bilder waren 1994 zwei Jahre alt und stammten aus einer Moskauer Kinderklinik. Auch Lettmayer packt aus. „Das ist ein branchenüblicher Kunstgriff“, sagt der Journalist."
Der „branchenübliche Kunstgriff“ - ein Argument, das auch im späteren Prozess immer dann fällt, wenn es darum geht, zu erklären, inwiefern sich die Redakteure in der Kölner Redaktion selbst nicht immer ganz ans Authentische hielten.
Übrigens verlässt Lettmayer die Redaktion zu dem Zeitpunkt, als stern TV der Staatsanwaltschaft die Unterstützung bei der Aufklärung der Vorwürfe zusichert und Strafanzeige gegen Born stellt. Steht der Entschluss mit der Affäre in Zusammenhang?
Parallel geht das Rätselraten über die Umstände weiter, wie der Beitrag über den Itzehoer Sprachreiseveranstalter, der sich als Opfer eines gefälschten TV-Beitrags betrachtet, zu Stande kam. Jetzt rächt sich, dass die Redaktion die Öffentlichkeit noch nicht über einzelne der mutmaßlich gefälschten Beiträge informiert hat, sondern Journalisten wie etwa von der FAZ selbst weiter ermitteln müssen:
"Zwei Tage lang begleitete ein Kamerateam unter der Leitung von Michael Mayr von der freien Produktionsgesellschaft „Filmgesellschaft München“ die Schüler eines seiner Feriensprachkurse in Eastbourne. Das Bild, das sich dem Zuschauer bot, war haarsträubend. Gegen diese Darstellung hat Jürgen Matthes (...) eine einstweilige Verfügung erwirkt. Der Entscheidung lagen zahlreiche eidesstattliche Versicherungen zugrunde: Ein Lehrer von Matthes gab an, zu einer Falschaussage erfolglos bestochen und im Film falsch übersetzt worden zu sein."
Für den Münchner Fernsehautor ist die Tatsache, in den Skandal hineingezogen zu werden, eine Katastrophe. Er ist um seinen Ruf in einer Branche besorgt, in der jeder jeden kennt. Und übt schließlich offene Schelte an der Presse, kritisiert die seines Erachtens einseitige Darstellung in den Medien.
"Auch er betrachtet sich als Opfer. Man versuche, ihn in die „Michael-Born-Nummer“ mitzuversenken. RTL hält sich zurück, betrachtet den Fall als Angelegenheit von „stern TV“. Dort wehrt man sich trotz der Ausstrahlung mehrerer gefälschter Beiträge gegen den Vorwurf, „blauäugig“ zu arbeiten."
Der letzte Satz zeigt, wie sehr das Spiegel-Interview, in dem sich der stern TV-Chef Zaik aufs Glatteis führen ließ, nachwirkt. Doch zurück zum Fall Matthes: Hier heißt die offizielle Sprachregelung, dass stern TV den Fall prüfe. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die G+J-Juristen an einem Vergleich arbeiten.
Hinweis: Es mag auf den ersten Blick verwirren, dass RTL in der FAZ auf Distanz zu dem Magazin geht. Aber es ist ein nachvollziehbarer Schritt. Denn stern TV ist wie Spiegel TV eine unabhängige Produktionsgesellschaft, sendet als so genanntes Auflagenprogramm mit einer Lizenz der Firma des Münchner Filmemachers Alexander Kluge, dctp.
Er hatte Anfang der 80er-Jahre mit der Idee Erfolg, die neuen Privatsender zur Ausstrahlung kultureller Programme von unabhängigen Dritten - wie eben dctp - zu verpflichten. Damit setzte sich Kluge bei Lizenzvergaben für Fensterprogramme bei den Sendern RTL oder auch Sat. 1 durch. Seitdem werden die Magazine via dctp ausgestrahlt.
Die Betonung der Unabhängigkeit zwischen stern TV und RTL geschieht in weiser professioneller Voraussicht. Denn Springer-Journalisten arbeiten mit Hochdruck an einer weiteren Enthüllungsstory. An diesem Samstag kündigt die Bild die „Geständnisse des Fälschers Born“ in der BamS für den kommenden Tag an.
Sonntag, 11. Februar 1996
Die Blatt behauptet, dass der TV-Fälscher auspacken wolle. In einem längeren Artikel beantwortet Born über seinen Würzburger Verteidiger Norman F. Jacob Fragen der Springer-Postille:
"Wie prüfte die Redaktion von „stern TV“ Ihre Berichte auf deren Wahrheitsgehalt? MB: „Es gab keine vertieften Nachprüfungen. Ich war vollkommen überrascht, dass es so einfach war, die beanstandeten Szenen unterzubringen.“ Wusste die Redaktion vor der Ausstrahlung, dass etwas gefälscht war? MB: „Ja, sie wusste davon. Zum Beispiel bei meinen Film über Bomben in Bethlehem. Ein Redakteur hat den Beitrag sogar noch überarbeitet.“ Hatten Sie auch einen Helfer in der Redaktion? MB: „Gezielt geholfen hat mir in der Redaktion eine Person. Haben Sie Verständnis dafür, dass ich den Namen noch nicht nennen kann.“
Im Prozess wird sich herausstellen, von wem der TV-Kujau spricht. Nach Lektüre dieser Zeilen in Deutschlands auflagenstärkstem Sonntagsblatt ist das Wochenende für Jauch und Zaik wohl vollends gelaufen. Die Behauptung, die Redaktion habe von den Fälschungen gewusst oder Born habe gar einen Komplizen gehabt, schlägt nicht nur bei ihnen, sondern auch bei anderen Medien wie eine Bombe ein.
Offensichtlich verunsichert lehnt die Redaktion stern TV Interviewwünsche ab, will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Und vergibt so gleichzeitig die Gelegenheit, dass ihre Stellungnahme in den Medien sofort Gehör findet und sich in den Artikeln widerspiegelt. Denn nach der bisherigen Eskalation ist sicher, dass keine Tageszeitung ihren Lesern diese Vorwürfe vorenthalten würde.
Es gehört zu den Spielregeln der Zunft, dass Agenturen eine solche Topmeldung unter Hinweis auf die Quelle sofort weiterverbreiten. DPA und AFP schicken noch am selben Tag Meldungen über Borns Behauptungen in der BamS über den Ticker.
Montag, 12. Februar 1996
Die Strategie Borns und seines Anwalts, auflagenstarke Boulevardmedien gezielt zu „füttern“, geht in vollem Umfang auf: Die Nachricht schlägt sich bundesweit in zahlreichen Tageszeitungen nieder, die Gerüchteküche um stern TV kocht. Und Jauch, der erst wenige Tage zuvor im Stern-Interview gesagt hatte, er wolle sich nicht zum Chefkoch einer Gerüchteküche um seine Redaktion machen lassen, gibt den Medien mit seinem Verhalten unfreiwillig das „Salz in die Suppe“.
Damit nicht genug. Weitere Behauptungen im Magazin Focus, das ebenso wie die BamS ein Zwiegespräch mit Borns Rechtsbeistand führt, belasten die Redaktion:
"Ohne Mitwisser in den Redaktionen habe er seine vielen Storys gar nicht verkaufen können. Insgesamt 29 Filmbeiträge habe er zwischen April 1991 und Oktober 1995 allein an „stern TV“ losgeschlagen, rund ein Dutzend davon sei inhaltlich teilweise oder komplett getürkt gewesen. Obwohl man bei „stern TV“ über den fehlenden Wahrheitsgehalt mancher Story informiert gewesen sei, sei sie trotzdem gesendet worden."
Ein Bericht mit einer Reihe von Tatsachenbehauptungen, die ausschließlich auf den Worten des mutmaßlichen TV-Fälschers beruhen. Er beziehungsweise sein Anwalt bleiben die Beweise schuldig, dass die Anzahl der von stern TV ausgestrahlten gefälschten TV-Beiträge tatsächlich so hoch ist. Ebenso unbewiesen bleibt das Statement, die Redaktion habe manipulierte Filme wider besseres Wissen gesendet.
"Sein Mandant, bekräftigt Jacob, „hatte subjektiv den Eindruck“, dass „stern TV“ Nachbesserungen gefordert habe, wenn das vorgelegte - echte - Material nicht spektakulär genug erschien. So seien Szenen von dem in einer Höhle mit Laiendarstellern aufgenommenen angeblichen Treffen deutscher Ku-Klux-Klan-Anhänger ursprünglich gar nicht Borns Idee gewesen. Erst auf eine Anregung hin habe man die Kutten für den nächtlichen Mummenschanz selbst genäht, in der Eile auch ein Hakenkreuz falsch herum platziert."
Die Verteidigungsstrategie Borns ist eindeutig: Er wird sich als Opfer der Sensationsgeilheit der TV-Magazine inszenieren und ganz im Sinne einer Zermürbungstaktik aus seiner Zelle weiter Druck ausüben. Das Szenario, er habe erst auf eine Anregung hin Kutten genäht, ist sicher nach dem Geschmack jedes nach Sensationen lechzenden Journalisten, bleibt aber ohne faktische Substanz.
Es scheint nicht gerade ein Ausweis neutralen journalistischen Selbstverständnisses beim Focus, dass er sich zu keinem Zeitpunkt durch eine Rückfrage in der Redaktion um eine Überprüfung der Behauptungen bemühte. Aus verlagspolitischen Motiven aber nachvollziehbar: In wenigen Tagen begibt sich Burdas neuer TV-Ableger Focus TV in die Quotenschlacht zwischen den Politmagazinen. Da ist der Zeitpunkt günstig, am Image der Konkurrenz zu kratzen.
In Köln platzen die „Geständnisse des TV-Fälschers“ wieder einmal mitten in die Vorbereitungen einer neuen Ausgabe. Angesichts der Bornschen Tiraden und des Nachfragedrucks durch andere Medien, die auf Klarheit in der Sache pochen, kommt stern TV an einer Presseerklärung nicht vorbei.
"Wenn Herr Born Stern TV vorwirft, ihm habe eine Person in der Redaktion gezielt geholfen", sagt Zaik, „dann soll er konkret werden.“ Geradezu absurd sei Borns Behauptung, stern TV habe vor der Ausstrahlung der Reportagen von möglichen Fälschungen gewusst. „Behauptungen werden auch dann nicht zu Tatsachen, wenn ein Betrüger sie ständig wiederholt und andere sie drucken“, sagt der stern TV-Chefredakteur.“
Ein Seitenhieb Zaiks gegen Kollegen, die in diesen Hochtagen des Skandals die Selbstverpflichtung zur ausgeglichenen Berichterstattung über Bord werfen und sich allzu leichtfertig zum Vehikel der Behauptungen Borns machen lassen. Welche Auswirkungen die Entwicklung der letzten Wochen auf das Verhältnis zum Mutterhaus hat, lässt ein sichtlich genervter Stern-Chefredakteur erahnen. Werner Funk (F) gibt im Fachblatt Medien aktuell (MA) missmutig Auskunft über den TV-Ableger:
"MA: Herr Dr. Funk, die Fernsehreihe „stern TV“ nutzte seinerzeit zum Start den Bekanntheitsgrad des Print-Titels Stern. Jetzt ist „stern TV“ durch eine Reihe getürkter Beiträge ins Gerede gekommen. Schadet das Ihrem Objekt? F: Es nützt jedenfalls nicht. MA: Kommt es vor, dass sich empörte Zuschauer bei Ihnen anstatt beim Fernsehsender RTL melden? F: So gut wie nie. MA: Wäre es Ihnen lieber, „stern TV“ würde sich einen anderen Namen zulegen? F: Nein. MA: Arbeiten Sie mit „stern TV“ ähnlich zusammen wie „Spiegel TV“ mit der Redaktion des Nachrichtenmagazins? F: „Nein.“
Trotz aller Verzweiflung, die sich in den kurzen Tagen des Skandals auf den Fluren des Stern in Hamburg festzusetzen scheint, weiß G+J natürlich: Der ins Trudeln geratene TV-Star - das Zugpferd der Fernsehaktivitäten im Konzern - kann nicht ohne Weiteres fallen gelassen werden.
Zwei Wochen nach dem Beginn des Schlagabtauschs bringt der Stern ein Interview mit Jauch. Ein Schritt, den - wie gesehen - Spiegel und die SZ bereits vor Tagen als opportun erachtet hatten, um sich in eine günstige Ausgangslage zu manövrieren.
Stern: "Der freie Fernsehjournalist Michael Born (...) hat bei stern TV mindestens sechs gefälschte Beiträge untergebracht. Wie konnte das passieren? Jauch: Er war uns seit langem bekannt, er hat Beiträge geliefert, die nicht zu beanstanden waren, und er war bei vielen großen, renommierten Sendern und Sendungen bestens eingeführt. Deswegen haben wir ihm vertraut, deswegen war an seiner Arbeit zunächst nicht zu zweifeln.“
Jauch geht wiederum nicht en Detail auf das Thema Sorgfaltspflicht ein, sondern verweist darauf, dass Born auch für andere renommierte Sender tätig war - als ob dies eine Garantie für journalistische Glaubwürdigkeit sei. Dabei musste er sich erst vorhalten lassen, dass Vertrauen zwar gut, aber Kontrolle doch besser ist. Ihm ist es unmöglich, verlässlich Auskunft zum Stand des Skandals zu geben.
Stern: "Wird sich die Affäre noch ausweiten? Jauch: Ich stehe auch als Chefkoch einer Gerüchteküche, deren Dunsthaube ausgefallen ist, nicht zur Verfügung. Ich kann nicht ausschließen, dass noch mehr Beiträge zu beanstanden sind, aber ich will eben auch nicht spekulieren.“
Humoristische Wortspielereien sind eines der Markenzeichen des TV-Stars. Sie täuschen aber nicht darüber hinweg, dass die Stimmung beim Stern wegen möglicher weiterer Enthüllungen frostig ist. Das Vertrauen nähert sich immer mehr dem Nullpunkt.
"Stern: stern TV und Stern sind voneinander unabhängig, aber wir kooperieren von Fall zu Fall, nach unseren Erkenntnissen haben die Fälschungen in unserem Heft keinen Niederschlag gefunden. Ist das richtig? Jauch: Ja. (...) Stern: Welche Konsequenzen zieht „stern TV“ aus der Affäre, welche Konsequenzen ziehen Sie persönlich? Jauch: Unsere erste Konsequenz war, dass wir als bisher einziges TV-Magazin Anzeige gegen Michael Born erstattet haben und mit der Staatsanwaltschaft sehr gut zusammenarbeiten. Niemand ist mehr an der restlosen Aufklärung interessiert als „stern TV"."
Sicherlich. Aber abgesehen von der Tatsache, dass stern TV zwischenzeitlich ganz offensichtlich der Draht zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft verloren gegangen ist, was trägt Jauch, der diese Aussage bei jeder Gelegenheit beinahe gebetsmühlenartig wiederholt, dazu aktiv bei? Er stellt eben nicht dar, wie Born redaktionelle Sicherungssysteme oder Redakteure ausgetrickst hat, genauso unerklärt bleibt, wie sich in Zukunft die Abnahme der Beiträge, die Auswahl und Recherche der Themen gestaltet. Sondern er sucht einmal mehr Schutz hinter der wenig aussagekräftigen Tatsache, stern TV habe Strafanzeige gestellt.
Fehlanzeige auch in Sachen persönlicher Konsequenzen - Jauch übergeht diese Frage schlicht, er hat sich „nichts vorzuwerfen“ und sieht daher auch keinen Bedarf, Verantwortung zu übernehmen. Gerade aber für dieses Thema interessiert sich die seit Frühjahr 2002 nicht mehr erscheinende Wochenzeitung Die Woche. Autor John Kreuschmer macht sich über den Moderator lustig:
"Liebe Zuschauer! Bisher ist zwar einiges schief gelaufen, aber diesmal, glauben Sie mir, diesmal haben wir wirklich recherchiert!“ Wollen Sie, der Sie besonders häufig Beiträge ausstrahlten, die aus der Fälscherwerkstatt des Michael Born stammten, demnächst jede Moderation bei „stern TV“ mit diesen Worten beginnen? (...) Wie sind Sie bloß auf die Idee mit dem investigativen Journalismus gekommen?"
Natürlich ist Polemik das Markenzeichen des Artikels, aber er ist gleichzeitig repräsentativ dafür, wie tief Jauchs Stern gesunken ist. Es ist nur konsequent, journalistische Fehltritte aus seiner Vergangenheit zu thematisieren oder Nebenjobs anzusprechen, die so gar nicht zum Berufsbild des Journalisten passen.
"Als „Stern TV“ den Tod eines bosnischen Jungen in aller Brutalität zeigte, putzte sich Jauch an seinen französischen Kollegen ab. Die hätten den Film schließlich gedreht, er habe ihn nur gesendet. Als Jauchs Werbetätigkeit für das dubiose Direktvertriebsunternehmen Amway aufflog, antwortete Jauch: Niemand sei „richtig reingelegt, also belogen“ worden. Später aber brandmarkte er die Nebentätigkeit seines Kollegen Ulrich Wickert. (...) Keine Frage: Im harten Wettbewerb um Quoten und Millionengagen können schon einmal Fehler passieren. „Stern TV“ aber hat zu viele gemacht, Günther Jauch zu oft den Ahnungslosen gespielt. Es wird Zeit, dass er endlich einmal Verantwortung übernimmt."
Die Woche trifft Jauch mit diesen Zeilen an einer sensiblen Stelle: seiner Eitelkeit als Journalist. Doch der hat sich wohl mit dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit abgefunden. Er wird zum Spielball der Medien.
Wie reagieren unterdessen die Mediaagenturen, die für den Verkauf der Werbeplätze im TV verantwortlich sind? Ist es zu einem Vertrauensverlust oder Werbestornierungen bei stern TV gekommen? Keineswegs: Ob in den Häusern Media Consult und Bates in Frankfurt am Main oder Springer & Jacoby Media in Hamburg - die Verkäufer der Werbeplätze halten das Magazin weiterhin für glaubwürdig.
Mit professioneller Nüchternheit zieht Werbeprofi Manfred Krupp, der Geschäftsführer von Mediapolis-Horizons in Frankfurt am Main, eine Zwischenbilanz: „Man kann ja bösartig sagen, wenn gefälschte Berichte gut gemacht sind, dann erfüllen sie ihren Zweck.“ Es sei doch nur der Anspruch von stern TV, seriös zu berichten. Für die Kunden, für die die Sendung bisher gut gewesen sei, sei sie auch weiter gut.
Zurück zu stern TV: Am Wochenende rächt sich, dass das Magazin die Vorwürfe zum fragwürdigen Bericht über den Sprachreisenveranstalter aus Itzehoe, Jürgen Matthes, nie nachhaltig aus der Welt geschafft hat.
Sonntag, 4. Februar 1996
Denn der hat seine Story im Axel Springer Verlag untergebracht und droht via Bild am Sonntag (BamS) mit einer Klage gegen stern TV auf Schadenersatz:
"Durch die Fälschungen (...) haben Stern TV und seine Mitarbeiter unserem Familienbetrieb einen Schaden in siebenstelliger Höhe zugefügt. Diesmal geht's um den Beitrag eines Münchner Filmemachers über Sprachreisen nach Eastbourne. „In dem Bericht, den Stern TV im Sommer vergangenen Jahres ausstrahlte, torkeln betrunkene Jugendliche durchs Bild. „Der Bericht ist in vielen Teilen gefälscht“, sagt der Veranstalter."
Es ist davon auszugehen, dass sich zu diesem Zeitpunkt bereits G+J-Justiziare hinter den Kulissen mit dem Fall beschäftigen. Ihr Job ist es, einen möglichst wenig öffentlichkeitswirksamen Vergleich zwischen Matthes und stern TV herbeizuführen. Ein Prozess wäre angesichts möglicher weiterer Enthüllungen durch die nach wie vor ermittelnde Staatsanwaltschaft für das Politmagazin eine Katastrophe.
Die Zeit drängt. Es mehren sich Indizien, dass es in der Redaktion tatsächlich zu Manipulationen gekommen ist. Denn stern TV, so heißt es in der Klageerwiderung des Münchner Filmemachers, habe sich nicht an die Originalversion des Beitrags gehalten. Jauchs Redaktion habe eigenmächtig Änderungen vorgenommen und Zitate verwendet, die der Münchner nicht geliefert hatte.
Die BamS-Chefredaktion hat mit der Veröffentlichung nicht lange gezögert. Kommt der Reiseveranstalter doch wie gerufen. Sein Fall ist eine Einladung, um gegen den Wettbewerber G+J zu polemisieren. Auf Rücksprache mit den Betroffenen zur Überprüfung der Behauptungen verzichtet das Springerblatt. Wozu sich womöglich durch eine Gegenrecherche eine die Auflage in die Höhe treibende Geschichte kaputtmachen? Für Fairplay ist in dieser Zeit kein Platz.
Montag, 5. Februar 1996
Jauchs Absturz gibt G+J beziehungsweise RTL immer mehr Grund zur Besorgnis, wie der Focus, der selbst mit Hochdruck an einem in wenigen Wochen startenden TV-Format arbeitet, zwischen den Zeilen wissen lässt.
"RTL-Chef Helmut Thoma, G+J-Vorstandsvorsitzender Gerd-Schulte Hillen, und Bertelsmann-Top-Manager Rolf Schmidt-Holz versuchen sich als Telefonseelsorger. Ihren Beistand brauchte Günther Jauch (...). Seit bekannt wurde, dass der Bildschirmsmartie (...) mindestens elf als gefälscht geltende Beiträge angesagt hat, ist sein properes Image angekratzt."
Man kann weiter gehen als der Focus-Autor: Die Affäre um den TV-Fälscher Born ist allmählich zum „Skandal um Günther Jauch“ geworden, der auf dem Weg ist, seinen Ruf zu verspielen.
Mittwoch, 7. Februar 1996
Auf den TV-Liebling schießen sich jetzt auch die Blätter der Regenbogenpresse ein. Jauch ist wegen seiner Fehlleistungen zur Zielscheibe von Spott geworden. Die Zwei diskreditiert den TV-Star:
"Jauch hält sich für einen begnadeten Journalisten. Zeitschriften, die über Königshäuser berichten, hält er für unseriös, die Käufer für dumm und ungebildet. Jauch glaubt, dass in diesen Blättern nicht immer die Wahrheit steht. Was für ihn aber besonders peinlich ist: Er hat nicht eine einzige Story nach dem Wahrheitsgehalt überprüft."
Dies ist sicherlich unzutreffend. Aber mittlerweile gehen auch Medienfachblätter - hier informieren sich Journalisten über die Vorgänge im eigenen Berufsstand - auf Distanz zu Jauch. Der Fachdienst rundy bittet den Ex-Chefredakteur der Bunte, Armin Wagner, um Antwort auf die Frage, ob Jauch die Fälschungen nicht hätte erkennen müssen:
„Sicher. Aber sicher ist niemand. Natürlich ist Stefan Aust mit seiner Spiegel-Maschine aus gelernten Redakteuren besser dran als ein Jauch, der aus der Showbranche kommt und statt Journalismus eher Tingeltangel gelernt hat.“
Natürlich hat Wagner die Beiträge weder in Ausschnitten noch in voller Länge oder gar in Form des Rohmaterials jemals zu Gesicht bekommen. Danach fragt aber niemand mehr. Jauchs Image befindet sich in der Branche im freien Fall, die mit Volldampf an weiteren Enthüllungen recherchiert.
Donnerstag, 8. Februar 1996
Kein Wunder, denn der nach einer Focus-Umfrage erst kürzlich zum beliebtesten Deutschen gekürte Starmoderator ist Garant für hohe Auflagen. Die Bunte steigt ein:
"Was tut Jauch jetzt? 1. Er hat Stefan Aust einen Brief geschrieben mit dem „guten Rat“, den „Günther Kujauch“ nicht zu wiederholen. 2. Er hat die (wg. Imageschaden) besorgte Stern-Redaktion im Nacken. Jauch: „Wir kriegen Hilfe aus Hamburg vom Verlag, auch juristische Hilfe. Wir haben Rechercheure im Ausland, die irgendwelchen Geschichten nachgehen.“
Solche Andeutungen sind es, die sein Image in der Öffentlichkeit zu ruinieren drohen. Warum wird er nicht konkret und erklärt, dass der Beitrag um den Sprachreiseunternehmer gerade noch einmal gegenrecherchiert wird? Aber er weicht ein weiteres Mal aus. Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem sich weitere bedrohliche Szenarien zusammenbrauen. G+J intensiviert die Bemühungen, auf juristischem Weg Schadensbegrenzung herbeizuführen.
Die Bunte lässt die Chance nicht aus, darauf hinzuweisen, wie Menschen nach einem offensichtlichen Fehler reagieren:
"Typ 3 ist es seinem Stolz schuldig, wieder Klasse zu bekommen, indem er sich öffentlich bekennt. Typ 4 belügt sich selbst und denkt, es merkt keiner. Nun hat Jauch, der große Junge, statt 3 die Version 4 gewählt, wo er durch öffentliches Bekenntnis zum wirklichen Helden hätte werden können. Er wird den Tag, als er seine Ehre verlor, nie vergessen. Das Publikum schon."
Es ist kaum zu glauben, aber der Autor wird mit der gewagten Prognose Recht behalten. Zunächst sticht aber die Illustrierte Gala nach. Sie gibt für eine Titelgeschichte über erfolgreiche Frauen, die den Ruf des Fernsehens retten sollen, und über Männer, die ihre Reputation verspielen, eine Forsa-Umfrage in Auftrag.
Das Ergebnis ist für Jauch, der bis vor Kurzem ein Symbol für Seriosität im deutschen Fernsehen war, wenig erfreulich. Grund: Nachdem der Frontmann von stern TV den Fakes aufgesessen ist, halten ihn nur noch 58 Prozent der Befragten für glaubwürdig. Sein Ansehensverlust bleibt nicht nur auf Zuschauer beschränkt. Auch die taktischen Spielereien sorgen im eigenen Berufsstand für Unmut. Nicht zuletzt ausgelöst durch die Informationspraxis kommen immer mehr Redakteure auf die nahe liegende Frage: Auf welche Weise hat Born eigentlich in den fraglichen Beiträgen der Wahrheit nachgeholfen?
Das Regenbogenheft Super Illu springt auf den an Fahrt gewinnenden Skandal-Zug, um seinen Lesern einen mutmaßlich gefälschten Born-Film aus dem Jauch-Magazin vorzustellen:
"Der spektakulärste Fall: Mit vorwurfsvollem Dackelblick kündigte er einen Beitrag über Kinderarbeit in Indien an. Auf dem Bildschirm dann ärmlich gekleidete Jungen, die einen Ikea-Teppich knüpften und später ihre kleinen Hände hilfesuchend durch das Gitter der Firma streckten. Fälschung total: Die Kinder waren in Wirklichkeit die Söhne eines wohlhabenden Fabrikbesitzers, dessen Firma mit Teppichproduktion nichts zu tun hat."
Super Illu eröffnet eine neue Front, an der stern TV einmal mehr der Aktualität hinterherhetzen muss. Denn Ikea kündigte dem indischen Teppichproduzenten, in dessen Firma gar keine Kinder arbeiteten, nach der Sendung den Auftrag.
Samstag, 10. Februar 1996
Zwangsläufig stellen sich die Medien nun die Frage, wie es überhaupt in TV-Magazinen zugeht. An diesem Wochenende gibt die SZ erste Eindrücke, indem sie den TV-Fälscher, der Millionen Zuschauer getäuscht hat, zu Wort kommen lässt:
"Was das Fernsehen betrifft, kann sich der normale Zuschauer keine Vorstellung machen, wie er von vorne bis hinten belogen wird, wie die Gier nach Sensationen keine Grenzen mehr kennt.“ Viele seiner spektakulären Bilder sind echt. Und da Born auch gute Kontakte zur autonomen Szene, zur PKK und zu Palästinensern hat - ein Photo zeigt Born mit Arafat - nahmen die Magazinmacher leichtgläubig auch Filme über Kinderarbeit in Indien (oder) kurdische Bombenbastler."
Leichtgläubig oder nicht - solche Themen stehen eben jedem investigativen Politmagazin gut zu Gesicht. stern TV ist im Zuge des zunehmenden Konkurrenzdrucks im Kampf um Einschaltquoten und Werbegelder zwischenzeitlich aber auch Abnehmer für dubiose Inhalte geworden, die nicht so recht zum seriösen Image passen wollen.
"Nur, wie ist es Born gelungen, frei Erfundenes wie die Katzenjäger unterzubringen? Er kam doch nur mit chaotischem Rohmaterial. Weil er kein guter Journalist ist, sagt Zaik, haben wir ihn eng an die Redaktion gebunden.“
Das erfolgreichste Politmagazin im deutschen TV, das in seiner Eigendarstellung Anfang des Jahres noch höchste journalistische Tugenden für sich beanspruchte, arbeitet demnach immerhin über einen Zeitraum von fünf Jahren mit einen schlechten Journalisten zusammen! Dann gerät das Magazin durch den ehemaligen Mitarbeiter Martin Lettmayer, der dort von August 1994 bis Ende Dezember 1995 als Redakteur beschäftigt war und in seinem Dokumentarfilm „Verschlusssache Atomtod“ unsauber gearbeitet hatte, zusätzlich in die Defensive:
"Der Autor behauptet, dass Kinder Opfer einer Strahlenkatastrophe im Ural geworden seien, diese Sequenz in einem Haus in Tscheljabinsk gedreht worden seien. Doch die Bilder waren 1994 zwei Jahre alt und stammten aus einer Moskauer Kinderklinik. Auch Lettmayer packt aus. „Das ist ein branchenüblicher Kunstgriff“, sagt der Journalist."
Der „branchenübliche Kunstgriff“ - ein Argument, das auch im späteren Prozess immer dann fällt, wenn es darum geht, zu erklären, inwiefern sich die Redakteure in der Kölner Redaktion selbst nicht immer ganz ans Authentische hielten.
Übrigens verlässt Lettmayer die Redaktion zu dem Zeitpunkt, als stern TV der Staatsanwaltschaft die Unterstützung bei der Aufklärung der Vorwürfe zusichert und Strafanzeige gegen Born stellt. Steht der Entschluss mit der Affäre in Zusammenhang?
Parallel geht das Rätselraten über die Umstände weiter, wie der Beitrag über den Itzehoer Sprachreiseveranstalter, der sich als Opfer eines gefälschten TV-Beitrags betrachtet, zu Stande kam. Jetzt rächt sich, dass die Redaktion die Öffentlichkeit noch nicht über einzelne der mutmaßlich gefälschten Beiträge informiert hat, sondern Journalisten wie etwa von der FAZ selbst weiter ermitteln müssen:
"Zwei Tage lang begleitete ein Kamerateam unter der Leitung von Michael Mayr von der freien Produktionsgesellschaft „Filmgesellschaft München“ die Schüler eines seiner Feriensprachkurse in Eastbourne. Das Bild, das sich dem Zuschauer bot, war haarsträubend. Gegen diese Darstellung hat Jürgen Matthes (...) eine einstweilige Verfügung erwirkt. Der Entscheidung lagen zahlreiche eidesstattliche Versicherungen zugrunde: Ein Lehrer von Matthes gab an, zu einer Falschaussage erfolglos bestochen und im Film falsch übersetzt worden zu sein."
Für den Münchner Fernsehautor ist die Tatsache, in den Skandal hineingezogen zu werden, eine Katastrophe. Er ist um seinen Ruf in einer Branche besorgt, in der jeder jeden kennt. Und übt schließlich offene Schelte an der Presse, kritisiert die seines Erachtens einseitige Darstellung in den Medien.
"Auch er betrachtet sich als Opfer. Man versuche, ihn in die „Michael-Born-Nummer“ mitzuversenken. RTL hält sich zurück, betrachtet den Fall als Angelegenheit von „stern TV“. Dort wehrt man sich trotz der Ausstrahlung mehrerer gefälschter Beiträge gegen den Vorwurf, „blauäugig“ zu arbeiten."
Der letzte Satz zeigt, wie sehr das Spiegel-Interview, in dem sich der stern TV-Chef Zaik aufs Glatteis führen ließ, nachwirkt. Doch zurück zum Fall Matthes: Hier heißt die offizielle Sprachregelung, dass stern TV den Fall prüfe. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die G+J-Juristen an einem Vergleich arbeiten.
Hinweis: Es mag auf den ersten Blick verwirren, dass RTL in der FAZ auf Distanz zu dem Magazin geht. Aber es ist ein nachvollziehbarer Schritt. Denn stern TV ist wie Spiegel TV eine unabhängige Produktionsgesellschaft, sendet als so genanntes Auflagenprogramm mit einer Lizenz der Firma des Münchner Filmemachers Alexander Kluge, dctp.
Er hatte Anfang der 80er-Jahre mit der Idee Erfolg, die neuen Privatsender zur Ausstrahlung kultureller Programme von unabhängigen Dritten - wie eben dctp - zu verpflichten. Damit setzte sich Kluge bei Lizenzvergaben für Fensterprogramme bei den Sendern RTL oder auch Sat. 1 durch. Seitdem werden die Magazine via dctp ausgestrahlt.
Die Betonung der Unabhängigkeit zwischen stern TV und RTL geschieht in weiser professioneller Voraussicht. Denn Springer-Journalisten arbeiten mit Hochdruck an einer weiteren Enthüllungsstory. An diesem Samstag kündigt die Bild die „Geständnisse des Fälschers Born“ in der BamS für den kommenden Tag an.
Sonntag, 11. Februar 1996
Die Blatt behauptet, dass der TV-Fälscher auspacken wolle. In einem längeren Artikel beantwortet Born über seinen Würzburger Verteidiger Norman F. Jacob Fragen der Springer-Postille:
"Wie prüfte die Redaktion von „stern TV“ Ihre Berichte auf deren Wahrheitsgehalt? MB: „Es gab keine vertieften Nachprüfungen. Ich war vollkommen überrascht, dass es so einfach war, die beanstandeten Szenen unterzubringen.“ Wusste die Redaktion vor der Ausstrahlung, dass etwas gefälscht war? MB: „Ja, sie wusste davon. Zum Beispiel bei meinen Film über Bomben in Bethlehem. Ein Redakteur hat den Beitrag sogar noch überarbeitet.“ Hatten Sie auch einen Helfer in der Redaktion? MB: „Gezielt geholfen hat mir in der Redaktion eine Person. Haben Sie Verständnis dafür, dass ich den Namen noch nicht nennen kann.“
Im Prozess wird sich herausstellen, von wem der TV-Kujau spricht. Nach Lektüre dieser Zeilen in Deutschlands auflagenstärkstem Sonntagsblatt ist das Wochenende für Jauch und Zaik wohl vollends gelaufen. Die Behauptung, die Redaktion habe von den Fälschungen gewusst oder Born habe gar einen Komplizen gehabt, schlägt nicht nur bei ihnen, sondern auch bei anderen Medien wie eine Bombe ein.
Offensichtlich verunsichert lehnt die Redaktion stern TV Interviewwünsche ab, will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Und vergibt so gleichzeitig die Gelegenheit, dass ihre Stellungnahme in den Medien sofort Gehör findet und sich in den Artikeln widerspiegelt. Denn nach der bisherigen Eskalation ist sicher, dass keine Tageszeitung ihren Lesern diese Vorwürfe vorenthalten würde.
Es gehört zu den Spielregeln der Zunft, dass Agenturen eine solche Topmeldung unter Hinweis auf die Quelle sofort weiterverbreiten. DPA und AFP schicken noch am selben Tag Meldungen über Borns Behauptungen in der BamS über den Ticker.
Montag, 12. Februar 1996
Die Strategie Borns und seines Anwalts, auflagenstarke Boulevardmedien gezielt zu „füttern“, geht in vollem Umfang auf: Die Nachricht schlägt sich bundesweit in zahlreichen Tageszeitungen nieder, die Gerüchteküche um stern TV kocht. Und Jauch, der erst wenige Tage zuvor im Stern-Interview gesagt hatte, er wolle sich nicht zum Chefkoch einer Gerüchteküche um seine Redaktion machen lassen, gibt den Medien mit seinem Verhalten unfreiwillig das „Salz in die Suppe“.
Damit nicht genug. Weitere Behauptungen im Magazin Focus, das ebenso wie die BamS ein Zwiegespräch mit Borns Rechtsbeistand führt, belasten die Redaktion:
"Ohne Mitwisser in den Redaktionen habe er seine vielen Storys gar nicht verkaufen können. Insgesamt 29 Filmbeiträge habe er zwischen April 1991 und Oktober 1995 allein an „stern TV“ losgeschlagen, rund ein Dutzend davon sei inhaltlich teilweise oder komplett getürkt gewesen. Obwohl man bei „stern TV“ über den fehlenden Wahrheitsgehalt mancher Story informiert gewesen sei, sei sie trotzdem gesendet worden."
Ein Bericht mit einer Reihe von Tatsachenbehauptungen, die ausschließlich auf den Worten des mutmaßlichen TV-Fälschers beruhen. Er beziehungsweise sein Anwalt bleiben die Beweise schuldig, dass die Anzahl der von stern TV ausgestrahlten gefälschten TV-Beiträge tatsächlich so hoch ist. Ebenso unbewiesen bleibt das Statement, die Redaktion habe manipulierte Filme wider besseres Wissen gesendet.
"Sein Mandant, bekräftigt Jacob, „hatte subjektiv den Eindruck“, dass „stern TV“ Nachbesserungen gefordert habe, wenn das vorgelegte - echte - Material nicht spektakulär genug erschien. So seien Szenen von dem in einer Höhle mit Laiendarstellern aufgenommenen angeblichen Treffen deutscher Ku-Klux-Klan-Anhänger ursprünglich gar nicht Borns Idee gewesen. Erst auf eine Anregung hin habe man die Kutten für den nächtlichen Mummenschanz selbst genäht, in der Eile auch ein Hakenkreuz falsch herum platziert."
Die Verteidigungsstrategie Borns ist eindeutig: Er wird sich als Opfer der Sensationsgeilheit der TV-Magazine inszenieren und ganz im Sinne einer Zermürbungstaktik aus seiner Zelle weiter Druck ausüben. Das Szenario, er habe erst auf eine Anregung hin Kutten genäht, ist sicher nach dem Geschmack jedes nach Sensationen lechzenden Journalisten, bleibt aber ohne faktische Substanz.
Es scheint nicht gerade ein Ausweis neutralen journalistischen Selbstverständnisses beim Focus, dass er sich zu keinem Zeitpunkt durch eine Rückfrage in der Redaktion um eine Überprüfung der Behauptungen bemühte. Aus verlagspolitischen Motiven aber nachvollziehbar: In wenigen Tagen begibt sich Burdas neuer TV-Ableger Focus TV in die Quotenschlacht zwischen den Politmagazinen. Da ist der Zeitpunkt günstig, am Image der Konkurrenz zu kratzen.
In Köln platzen die „Geständnisse des TV-Fälschers“ wieder einmal mitten in die Vorbereitungen einer neuen Ausgabe. Angesichts der Bornschen Tiraden und des Nachfragedrucks durch andere Medien, die auf Klarheit in der Sache pochen, kommt stern TV an einer Presseerklärung nicht vorbei.
"Wenn Herr Born Stern TV vorwirft, ihm habe eine Person in der Redaktion gezielt geholfen", sagt Zaik, „dann soll er konkret werden.“ Geradezu absurd sei Borns Behauptung, stern TV habe vor der Ausstrahlung der Reportagen von möglichen Fälschungen gewusst. „Behauptungen werden auch dann nicht zu Tatsachen, wenn ein Betrüger sie ständig wiederholt und andere sie drucken“, sagt der stern TV-Chefredakteur.“
Ein Seitenhieb Zaiks gegen Kollegen, die in diesen Hochtagen des Skandals die Selbstverpflichtung zur ausgeglichenen Berichterstattung über Bord werfen und sich allzu leichtfertig zum Vehikel der Behauptungen Borns machen lassen. Welche Auswirkungen die Entwicklung der letzten Wochen auf das Verhältnis zum Mutterhaus hat, lässt ein sichtlich genervter Stern-Chefredakteur erahnen. Werner Funk (F) gibt im Fachblatt Medien aktuell (MA) missmutig Auskunft über den TV-Ableger:
"MA: Herr Dr. Funk, die Fernsehreihe „stern TV“ nutzte seinerzeit zum Start den Bekanntheitsgrad des Print-Titels Stern. Jetzt ist „stern TV“ durch eine Reihe getürkter Beiträge ins Gerede gekommen. Schadet das Ihrem Objekt? F: Es nützt jedenfalls nicht. MA: Kommt es vor, dass sich empörte Zuschauer bei Ihnen anstatt beim Fernsehsender RTL melden? F: So gut wie nie. MA: Wäre es Ihnen lieber, „stern TV“ würde sich einen anderen Namen zulegen? F: Nein. MA: Arbeiten Sie mit „stern TV“ ähnlich zusammen wie „Spiegel TV“ mit der Redaktion des Nachrichtenmagazins? F: „Nein.“
„Keine
Zusammenarbeit“ - Stern-Chefredakteur Werner Funk in Hamburg geht auf
Distanz zu dem in massive Kritik geratenen TV-Ableger aus seinem Konzern in
Köln.
Viel
weiter kann das Verhältnis nicht mehr abkühlen. Funk dürfte zu diesem Zeitpunkt
darüber informiert gewesen sein, dass stern
TV in einigen Stunden Farbe bekennen muss und an offiziellen Gegendarstellungen
nicht vorbeikommt. Eine wohl schmerzhafte Vorstellung für den Ex-Chefredakteur
des Magazins, der kürzlich seinem Kollegen Klaus Bednarz fälschlicherweise
ungezählte Gegendarstellungen vorgehalten hatte.
Mittwoch,
14. Februar 1996
Die
Ausgabe ist denn auch kein wirkliches Highlight in der Geschichte von stern
TV. Durch die Hetzjagd der Medien findet Jauch nicht einmal mehr
ausreichend Zeit, um sich vorzubereiten. Dafür regnet es Richtigstellungen. So
zum Bericht über den Itzheoer Sprachreiseveranstalter, den das Magazin am 26.
Mai 1995 im Programm hatte.
"Die Ermittlungen ergaben, dass die Sprachschüler fürsorglich und gut betreut
wurden und das Unternehmen seit vielen Jahren vor Ort einen guten Ruf genießt.
stern TV bedauert, dass durch den gesendeten Beitrag in der Öffentlichkeit ein
falscher Eindruck über das Unternehmen „Jürgen Matthes Sprachreisen“ entstanden
ist. Vorwürfe gegen stern TV erhebt Herr Matthes nach Einsicht in die
Unterlagen von stern TV nicht."
Die
G+J-Hausjuristen haben ganze Arbeit geleistet. Ihnen ist es in einem Vergleich
mit Matthes’ Anwälten ganz offensichtlich gelungen, stern TV aus der Schusslinie zu nehmen. Ein Teilerfolg, über den
die Redaktion am nächsten Tag die Medien in einer Presseerklärung unterrichtet.
Gleichzeitig zeigt sich, wie hart die Bandagen sind, mit der die Branche
kämpft, wenn es darum geht, die eigene Journalistenhaut zu retten.
"In diesem Zusammenhang erhebt Herr Matthes Vorwürfe gegen den Münchner
Produzenten, von dem stern TV das zugrundeliegende Filmmaterial erworben hat."
Die
Vorwürfe werden auf den Produzenten Michael Mayr abgewälzt, der zuvor stern TV seinerseits unsauberes Arbeiten
unterstellt hatte. Offene Rechnungen werden in diesen Tagen sofort
beglichen.
Hart
sind auch die Forderungen der Anwälte des schwedischen Möbel-Multis Ikea, der durch einen gefälschten
Beitrag bei seinen Käufern in Bedrängnis geraten war und einem schuldlosen
Produzenten gekündigt hatte. Die Juristen verlangen, dass die Redaktion in Wort
und Bild vollständig die Entstehung des gefälschten Beitrags darstellt und
einen Ikea-Vertreter zu Wort kommen lässt.
Eine
Vorstellung, die angesichts der unklaren Beweislage - was hat Michael Born
wirklich in der Hand, und gab es mitunter Helfer in der Redaktion - den
Verantwortlichen das blanke Entsetzen in die Augen getrieben haben dürfte.
Doch
so weit wird es nicht kommen. Jauch zieht es vor, sich an diesem Mittwochabend
gleich noch für den gefälschten Ikea-Beitrag zu entschuldigen. Zwar informiert
das Magazin so erstmals offensiv die Öffentlichkeit, um nicht erneut von den
Medien getrieben zu werden. Dumm ist nur, dass damit die Möglichkeit einer
Klage von Ikea - wie sich
schnell zeigen wird - nicht aus der Welt ist.
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