In
der Redaktion herrscht an den letzten Tagen vor Weihnachten und Sylvester noch
einmal Hochbetrieb. Sendungen, die im RTL-Programm angekündigt sind, müssen
aufgezeichnet und zusammengeschnitten werden. Günther Jauch im Dauerstress.
Termindruck für alle Redakteure, denen eines nicht verborgen bleibt: stern
TV-Anwalt Seibert, Jauch und Zaik treffen sich ungewöhnlich häufig zu
langen Gesprächen hinter verschlossenen Türen. Der Grund dafür bleibt im
Dunkeln. In der Redaktion kursiert das Gerücht, dass es im Zuge eines Beitrags
wohl zu einem massiven juristischen Nachspiel gekommen sein muss.
Moderator und Chefredakteur wissen zum Jahreswechsel zwar um die Gefahr, eine zentrale Rolle in der sich abzeichnenden Affäre um gefälschte TV-Berichte zu spielen, aber die Redaktion informieren sie darüber nicht. Das alte Jahr plänkelt aus, und mit der Routine von über 250 Sendungen startet stern TV ins neue.
Mittwoch, 3. Januar 1996
Für ihre durchschnittlich rund drei Millionen Zuschauer hat die Redaktion ein Neujahrsgeschenk: einen Rückblick auf das Jahr 1995. Der zeigt noch einmal einige der Highlights der Beiträge. Darin bleiben zum allgemeinen Erstaunen zwei der Schlagzeilen- und Quotenbringer unberücksichtigt: der im Januar ausgestrahlte Film „Kinderarbeit in Indien“. Dramatische Aufnahmen aus einer Manufaktur in Panipat - ein Dorf im so genannten Teppichgürtel bei Neu Delhi: Kinder knüpfen Teppiche für den schwedischen Möbel-Multi Ikea, die für den deutschen Markt bestimmt sind. „Arbeitsbedingungen in zuliefernden Kleinstbetrieben katastrophal“, heißt es in einer Mitteilung, die stern TV zur Ankündigung der Enthüllungen zuvor an die Medien versandt hat. Folge: Schon vor der Sendung geht ein Aufschrei durch die deutsche Presse, Ikea steht öffentlich am Pranger.
Ebenfalls nicht im Programm ein Beitrag, der die tierliebende deutsche Nation entsetzte: „Katzenjagd in Deutschland“. Das Magazin führt darin den Beweis, dass Waidmänner wild umherstreunende Katzen in deutschen Wäldern abschießen. Höhepunkt: Ein Jäger lässt sich dabei filmen, wie er im Taunus eine Katze mit einer Schrotflinte abknallt. Noch Tage nach der Ausstrahlung liefern sich Jäger und Tierschützer in der Öffentlichkeit hitzige Gefechte.
Einer Antwort auf die in der Redaktion oft gestellte Frage, warum diese Knüller nicht erneut gezeigt werden, geht die Führungsspitze aus dem Weg. Sie wollen die Fans vor den heimischen Bildschirmen anders entschädigen. Anstelle der Sensationsgeschichten können sie hinter die Kulissen des Magazins blicken: rasende Reporter unter dem Diktat der Tagesaktualität im Interview. Rasante Einspieler von Redaktionskonferenzen, aus dem Schnitt oder der Regie bilden das Spielmaterial für Mister stern TV, Günther Jauch, der sich sogar beim Schminken in der Maske über die Schulter schauen lässt.
„Glaubwürdigkeit, Seriosität und präzise Recherche“ - das sind Eigenschaften, die sich das Magazin zugute hält. Was später über den Sender gehe, versichert Jauch im Rückblick, werde vorher nach allen Seiten hin diskutiert und abgeklopft. Der Zuschauer erlebt „Faszination Fernsehen“ hautnah und im Volltempo.
Über den Stand der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz verliert Jauch weder in dieser noch den beiden folgenden Sendungen auch nur eine Silbe. Auch nicht darüber, dass es im Rückblick eben kein Zufall war, auf die beiden Beiträge zu verzichten. Denn sie sollen wie eine noch nicht feststehende Anzahl anderer Beiträge ebenfalls von Born manipuliert worden sein.
Wieso Vorgänge ansprechen, hat sich die Führungscrew gesagt, die das tadellose Image des Magazins belasten und Zuschauer irritieren könnten? Oder warum womöglich Werbekunden verprellen, die für ihre Produkte in dem Magazin jeden Mittwoch ab 22.10 Uhr einen Quotengaranten gefunden haben? Als Marktführer rangiert es weit vor der Konkurrenz. Mit keinem anderen zeitgleichen TV-Format wird die im Marketingdeutsch so genannte werberelevante Zielgruppe der bis zu 49-Jährigen zielgenauer erreicht. Ein immenser Vorteil in einer Zeit, in der unter den TV-Magazinen ein immer härterer Kampf um Einschaltquoten und Werbegelder tobt.
Der Zuschauer erfährt auch nichts von einem Trick, der in der Welt der dramatischen Fernsehbilder gang und gäbe ist: nämlich dem Publikum aufgezeichnete Sendungen wie etwa einen Jahresrückblick als live zu verkaufen, obwohl der bereits Wochen vorher aufgezeichnet und danach zusammengeschnitten wurde. Hier auch der Fall, aber mit profanem Hintergrund. Denn in Zeiten nationaler Großfeiertage wie einem Jahreswechsel arbeiten fast alle Redaktionen - ob TV oder Print und Hörfunk - mit Vorproduktionen und nicht mit voller Besetzung. So gelangen Berichte und Reportagen zum Großteil aus dem so genannten Stehsatz über den Bildschirm, den Äther oder in die Blätter.
Aktualität hin oder her - auch Redakteure wollen einmal eine Verschnaufpause einlegen. Zum Luftschnappen hat die Kölner Redaktion noch zwei Wochen Zeit. Dann tritt der bislang größte Betrugsfall in der Geschichte des deutschen Fernsehens mit voller Wucht ans Licht der Öffentlichkeit.
Moderator und Chefredakteur wissen zum Jahreswechsel zwar um die Gefahr, eine zentrale Rolle in der sich abzeichnenden Affäre um gefälschte TV-Berichte zu spielen, aber die Redaktion informieren sie darüber nicht. Das alte Jahr plänkelt aus, und mit der Routine von über 250 Sendungen startet stern TV ins neue.
Mittwoch, 3. Januar 1996
Für ihre durchschnittlich rund drei Millionen Zuschauer hat die Redaktion ein Neujahrsgeschenk: einen Rückblick auf das Jahr 1995. Der zeigt noch einmal einige der Highlights der Beiträge. Darin bleiben zum allgemeinen Erstaunen zwei der Schlagzeilen- und Quotenbringer unberücksichtigt: der im Januar ausgestrahlte Film „Kinderarbeit in Indien“. Dramatische Aufnahmen aus einer Manufaktur in Panipat - ein Dorf im so genannten Teppichgürtel bei Neu Delhi: Kinder knüpfen Teppiche für den schwedischen Möbel-Multi Ikea, die für den deutschen Markt bestimmt sind. „Arbeitsbedingungen in zuliefernden Kleinstbetrieben katastrophal“, heißt es in einer Mitteilung, die stern TV zur Ankündigung der Enthüllungen zuvor an die Medien versandt hat. Folge: Schon vor der Sendung geht ein Aufschrei durch die deutsche Presse, Ikea steht öffentlich am Pranger.
Ebenfalls nicht im Programm ein Beitrag, der die tierliebende deutsche Nation entsetzte: „Katzenjagd in Deutschland“. Das Magazin führt darin den Beweis, dass Waidmänner wild umherstreunende Katzen in deutschen Wäldern abschießen. Höhepunkt: Ein Jäger lässt sich dabei filmen, wie er im Taunus eine Katze mit einer Schrotflinte abknallt. Noch Tage nach der Ausstrahlung liefern sich Jäger und Tierschützer in der Öffentlichkeit hitzige Gefechte.
Einer Antwort auf die in der Redaktion oft gestellte Frage, warum diese Knüller nicht erneut gezeigt werden, geht die Führungsspitze aus dem Weg. Sie wollen die Fans vor den heimischen Bildschirmen anders entschädigen. Anstelle der Sensationsgeschichten können sie hinter die Kulissen des Magazins blicken: rasende Reporter unter dem Diktat der Tagesaktualität im Interview. Rasante Einspieler von Redaktionskonferenzen, aus dem Schnitt oder der Regie bilden das Spielmaterial für Mister stern TV, Günther Jauch, der sich sogar beim Schminken in der Maske über die Schulter schauen lässt.
„Glaubwürdigkeit, Seriosität und präzise Recherche“ - das sind Eigenschaften, die sich das Magazin zugute hält. Was später über den Sender gehe, versichert Jauch im Rückblick, werde vorher nach allen Seiten hin diskutiert und abgeklopft. Der Zuschauer erlebt „Faszination Fernsehen“ hautnah und im Volltempo.
Gefragter Wechselgänger - Günther Jauch moderiert neben stern TV auch die RTL-Champions League mit Marcel Reif und Franz Beckenbauer sowie das Aktuelle Sportstudio für das ZDF.
Über den Stand der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz verliert Jauch weder in dieser noch den beiden folgenden Sendungen auch nur eine Silbe. Auch nicht darüber, dass es im Rückblick eben kein Zufall war, auf die beiden Beiträge zu verzichten. Denn sie sollen wie eine noch nicht feststehende Anzahl anderer Beiträge ebenfalls von Born manipuliert worden sein.
Wieso Vorgänge ansprechen, hat sich die Führungscrew gesagt, die das tadellose Image des Magazins belasten und Zuschauer irritieren könnten? Oder warum womöglich Werbekunden verprellen, die für ihre Produkte in dem Magazin jeden Mittwoch ab 22.10 Uhr einen Quotengaranten gefunden haben? Als Marktführer rangiert es weit vor der Konkurrenz. Mit keinem anderen zeitgleichen TV-Format wird die im Marketingdeutsch so genannte werberelevante Zielgruppe der bis zu 49-Jährigen zielgenauer erreicht. Ein immenser Vorteil in einer Zeit, in der unter den TV-Magazinen ein immer härterer Kampf um Einschaltquoten und Werbegelder tobt.
Der Zuschauer erfährt auch nichts von einem Trick, der in der Welt der dramatischen Fernsehbilder gang und gäbe ist: nämlich dem Publikum aufgezeichnete Sendungen wie etwa einen Jahresrückblick als live zu verkaufen, obwohl der bereits Wochen vorher aufgezeichnet und danach zusammengeschnitten wurde. Hier auch der Fall, aber mit profanem Hintergrund. Denn in Zeiten nationaler Großfeiertage wie einem Jahreswechsel arbeiten fast alle Redaktionen - ob TV oder Print und Hörfunk - mit Vorproduktionen und nicht mit voller Besetzung. So gelangen Berichte und Reportagen zum Großteil aus dem so genannten Stehsatz über den Bildschirm, den Äther oder in die Blätter.
Aktualität hin oder her - auch Redakteure wollen einmal eine Verschnaufpause einlegen. Zum Luftschnappen hat die Kölner Redaktion noch zwei Wochen Zeit. Dann tritt der bislang größte Betrugsfall in der Geschichte des deutschen Fernsehens mit voller Wucht ans Licht der Öffentlichkeit.
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