Samstag, 4. April 2015

Der Fake Faktor - Spurensuche

Der Name des Übeltäters: Michael Born. Dem damals 37-jährigen freien TV-Produzenten gelingt das Kunststück, jahrelang private wie öffentlich-rechtliche Politmagazine mit angeblich authentischen Berichten zu betrügen, obwohl er die Themen darin erfunden und Szenen mit Freunden oder Bekannten nachgestellt hat. Seine Fakes wären nicht weiter aufgefallen, hätte die Staatsanwaltschaft Koblenz nicht nach einem Beitrag um angebliche Aktivitäten des US-Geheimbundes Ku-Klux-Klan in Deutschland Ermittlungen wegen rechtsextremistischer Umtriebe aufgenommen und in Rheinland-Pfalz nach solchen Organisationen gefahndet.

In der Vernehmung über die Hintergründe des Beitrags  verstrickt Born sich in Widersprüche. Das ist sein Fehler. Die Ermittler beginnen sich für andere seiner Filme zu interessieren. Ein Justizermittler schaut sich stundenlang Szene um Szene aus dem Film über das angebliche Treiben des Ku-Klux-Klan in Deutschland und über einen angeblichen Rauschgiftschmuggel über die deutsch-schweizerische Grenze an. Dann vermutet er in dem Darsteller des vermeintlichen Rauschgifthändlers und einem mit weißer Kapuze vermummten Ku-Klux-Klan-Anhänger ein und dieselbe Person. Eine Stimmenanalyse des Bundeskriminalamts bestätigt seine Vermutung. Gegen Born wird fortan wegen mutmaßlichen Betrugs ermittelt.

Beweise für seine kriminellen Machenschaften finden die Ermittler bei einer Durchsuchung seines Hauses in Lahnstein haufenweise. Born macht sich nicht einmal die Mühe, Spuren seiner Fakes zu beseitigen. Kapuzen aus dem Ku-Klux-Klan-Bericht, Fahnen mit Hakenkreuz, Bomberjacken oder die Reichskriegsflagge - Requisiten, die nur einen Zweck hatten: Themen durch mehr oder weniger geschickte Manipulation der Wirklichkeit zu dem Stoff zu machen, hinter dem TV-Magazine so her sind wie Süchtige hinter der Droge - Sensationsgeschichten.

Mit Born gelangt neben anderen Politmagazinen auch stern TV in den Fokus der Ermittler. Grund: An die Kölner Redaktion verkauft er die meisten seiner Phantasiewerke - dies beweisen Honorarzahlungen aus den Jahren 1991 bis 1995. Nach den Ermittlern stellen bald auch Medien erste Fragen: Hätten die Fakes nicht als solche erkannt werden müssen? Funktionierten die redaktionellen Sicherungssysteme? Hatte Born in der Redaktion Mitwisser? Oder wurde aus Quotengier der journalistische Anspruch über Bord geworfen? Mit anderen Worten: Wie steht es um den Berufsethos in der Redaktion?




 
 
 
 
 
 
 
 
Neo-Nazi-Dunstkreis - beim TV-Fälcher Michael Born sichergestellte Requisiten, die er in seinen Beiträgen einsetzte, um die Wirklichkeit spektakulärer zu gestalten und seine Fakes an Sender zu verkaufen.



Fragen, bei deren Beantwortung sich der viel beschäftigte Moderator und Ex-Chefredakteur von stern TV, Günther Jauch, öffentlich in das journalistische Handwerk blicken lassen muss. Ein Routinejob für einen an kritische Fragen und öffentliche Auftritte gewöhnten Medienprofi - könnte man meinen: Seit Jahren tingelt er durch die TV-Branche, moderiert neben dem Politmagazin auch die Champions League für RTL, außerdem kauft ihn das ZDF für das Aktuelle Sportstudio ein.

Doch er und sein Chefredakteur, Andreas Zaik, werden im Laufe der Ereignisse selbst zu Objekten der Recherche und zu Getriebenen der Medien. Für beide wird 1996 zum schwarzen Jahr. Sie schlittern in puncto Glaubwürdigkeit in eine Krise, müssen persönliche Niederlagen und Beschuldigungen einstecken, die sie bis an den Rand des beruflichen Absturzes manövrieren.

Wie kann sich eine Affäre im Wechselspiel von sensationsgierigen Medien, Eitelkeiten und persönlichen Fehlentscheidungen in wenigen Tagen zum größten Skandal in der deutschen Fernsehgeschichte aufschaukeln? Warum entwickelt sich eine Schlammschlacht unter den Politmagazinen, die in einer Hetzjagd der Medien auf Günther Jauch gipfelt und ihn öffentlich in die Tiefe reißt?

Zunächst aber: Wie reagieren ein bis dato unangreifbares TV-Magazin und sein Moderator, wenn sie mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen konfrontiert werden und zu allem Überfluss die Medien damit beginnen, sich für das Innenleben der Redaktion zu interessieren? Antwort: ganz menschlich. Ähnlich wie zum Beispiel ertappte Raser auch. Ausweichend und taktierend, um die Fehlerquote in Sachen Widersprüche so niedrig wie möglich zu halten. Dass dies unter den Zwängen der Aktualität selbst für erfahrene Journalisten zum Drahtseilakt werden kann, wird sich immer wieder aufs Neue zeigen.

Ungereimtheiten ranken sich etwa um den Zeitpunkt, zu dem stern TV Ende 1995 Wind von den eingeleiteten Ermittlungen bekommen haben will. Am 4. Dezember durchsucht die Koblenzer Kriminalpolizei die Redaktionsräume des Magazins in Köln. Zwei Tage später sichert Zaik den Strafverfolgern volle Unterstützung bei der Aufklärung des Falls zu.

Im späteren Prozess vor dem Koblenzer Landgericht stehen sich in diesem Punkt zwei Positionen unvereinbar gegenüber: die Version des stern TV-Chefs und die Version des Born-Assistenten Georgios Charalampous, der wegen Beihilfe zum Betrug mit auf der Anklagebank sitzt. Es ist das Spiel Aussage gegen Aussage. Zaik sagt, er habe sich nach einem Treffen mit dem Assistenten am 5. Dezember entschieden, die Behörden uneingeschränkt zu unterstützen, stern TV-Anwalt Winfried Seibert aufgesucht und an diesem Tag auch Anzeige erstattet. Grund: Born habe in einem Telefonat damit gedroht, das Magazin der Mitwisserschaft zu bezichtigen.

Zur Untermauerung legt er eine Taxiquittung vor. Sie soll beweisen, dass er tatsächlich in das Büro des Anwalts gefahren sei. An den Inhalt der in Anbetracht der Ereignisse sicherlich hitzigen Diskussion kann sich der Chefredakteur dann nicht erinnern. Ebenso wenig übrigens sein Rechtsbeistand, der entgegen dem Usus seines Berufsstands ganz offensichtlich kein Protokoll über die Besprechung verfasst.

Die Version des Born-Assistenten ist grundlegend anders. Das fragliche Gespräch habe mehrere Tage zuvor am 24. oder 25. November stattgefunden. Auch an den Inhalt erinnert sich Charalampous genau: Er habe Zaik über sämtliche manipulierten Filme Borns, die bei stern TV liefen, informiert. Aus welchem Grund auch immer: Für die Urteilsfindung überzeugen die Ausführungen des Chefredakteurs den Richter Ulrich Weiland mehr als die Darstellungen des Born-Assistenten. Sollte das Gespräch aber im November und nicht erst im Dezember stattgefunden haben, so ist dies nicht ohne Brisanz. Denn dann hätte stern TV sich nicht sofort nach dem Treffen mit Charalampous entschlossen, die Behörden zu unterstützen, sondern erst einmal abgewartet. Um etwa kritische Dokumente oder Beiträge zu sichten und sich so für die Zukunft zu präparieren?

Aber überzeugt es wirklich, dass das Magazin vor der Durchsuchung nicht Wind von den Ermittlungen bekam? Der Autor, der die Wirklichkeit so täuschend echt inszeniert, geht immerhin seit fast fünf Jahren in der Redaktion als freier Autor quasi ein und aus. Ob als Kameramann oder Autor im In- und Ausland - Born, der sich erste Meriten als Reporter im Iran-Irak- oder Golf-Krieg verdiente, ist der Mann für Sensationen und Garant für dramatische Bilder. Dies sichert ihm in der Redaktion nicht nur Gehör, sondern auch Sympathien.

Zwar hapert es dem Selfmade-Autor, der das journalistische Handwerk nie gelernt hat, stets an der Qualität. Doch um Schwächen in Text und Bild in den Griff zu bekommen, stellt ihm der Chefredakteur Mitarbeiter aus den eigenen Reihen zur Seite. Gemeinsam mit Redakteur und Cutter sichtet er dann das Rohmaterial, wählt Sequenzen aus, diskutiert Zitate, entscheidet über die Schnittfolge. Es dauert mehrere Stunden, manchmal auch Tage, bis die in der Regel vier bis sechsminütigen Beiträge von stern TV für die Endabnahme durch den Chefredakteur fertig gestellt sind. 

Ist es vor diesem Hintergrund eher auszuschließen oder wahrscheinlich, dass sich zwischen Born und einzelnen Redakteuren freundschaftliche Drähte entwickelten? Drähte, über die frühzeitig Details über die losgetretenen Ermittlungen von Koblenz nach Köln gelangten? Einige der offenen Fragen. Wie erwähnt entscheidet sich das Gericht im Prozess für die stern TV-Version.

So oder ähnlich dürften sich die Ereignisse zuvor zugetragen haben und damit zur Chronologie. Am 8. Dezember 1995 erlässt die Staatsanwaltschaft Koblenz Haftbefehl gegen Born, drei Tage später sitzt er in Untersuchungshaft. Von all diesen für ein Politmagazin höchst ungewöhnlichen Ereignissen dringt kein Wort an die Öffentlichkeit - noch nicht.
 

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