Donnerstag, 30. April 2015

Der Fake Faktor - Im Sommerloch

Donnerstag, 23. Mai 1996

Es ist notabene nicht im Interesse Borns, dass seine Affäre im Frühsommer durch Schlagzeilen anderer Aktualitäten abgelöst und in den Hintergrund gedrängt wird. Daher arbeiten Born und sein Anwalt wie besessen daran, die Medien weiterhin für den Fall zu interessieren. Die Taktik: die öffentliche Meinung zu Gunsten des Häftlings in Untersuchungshaft zu beeinflussen. Sie haben Erfolg: Ende Mai beginnt für stern TV wegen einer Vorabmeldung der Münchner Zeitschrift Playboy eine neue Zitterpartie. In einer mehrseitigen Erklärung stellt Born das Magazin als Mitwisser hin. Sofort zitiert AP aus dem Beitrag:

„Es ist (...) heuchlerisch, wenn all die Redakteure und Verantwortlichen jetzt aufschreien und überrumpelt tun. Denn ich (...) habe lediglich praktiziert, was diese Leute, von denen ich (...) finanziell abhängig war, gewollt und oft nicht nur stillschweigend geduldet haben.“ (...) Ein Redakteur von stern TV habe ihn bereits bei seinem ersten „faulen Beitrag“ auf gewisse Ungereimtheiten im Rohmaterial hingewiesen."

Mit dieser Meldung ist die nächste Runde im Rennen um Schlagzeilen eröffnet. Wieder versucht Born, das Magazin vor sich herzutreiben. Diesmal allerdings wehrt es sich vehement und geht mit einer drastischen Presseerklärung in die Offensive: 

"Als „absurdes Sammelsurium unwahrer Schutzbehauptungen“ hat stern TV die Anschuldigungen von TV-Fälscher Michael Born zurückgewiesen, stern TV-Mitarbeiter hätten von seinem Betrug gewusst. (...) stern TV-Chefredakteur Andreas Zaik (...) betonte, dass er das nötige Geschick und die kriminelle Energie habe, „um Kollegen und Öffentlichkeit in die Irre zu führen.“

Die Abwehrmaßnahme hat Erfolg: Nur einzelne Tageszeitungen berichten über Borns Anfeindungen im Playboy. Zeitgleich erhält stern TV-Anwalt Seibert den Auftrag, auf juristischem Wege gegen die Behauptungen vorzugehen.

Mittwoch, 26. Juni 1996

Dann der Haftprüfungstermin am Oberlandesgericht Koblenz: Zwar sehen zu diesem Zeitpunkt bereits Gericht und Staatsanwaltschaft Koblenz die „uneingeschränkte Glaubwürdigkeit der Redaktionen“ als fraglich an. Sie gehen aber nicht so weit, eine Mittäterschaft der Redaktionen zu behaupten. Die Staatsanwaltschaft Koblenz erhebt Anklage gegen den mutmaßlichen TV-Fälscher. Danach legt sich das Sommerloch über Deutschland.

Mittwoch, 18. Juli 1996

Ein Bundesland nach dem nächsten startet in die Ferien. Jauch moderiert die letzte Ausgabe seines Magazins vor der Sommerpause. An diesem Tag erzielt die Redaktion dann einen ersten Punktsieg gegen Born: Das Landgericht Köln untersagt ihm und dem Playboy in einer einstweiligen Verfügung, insgesamt dreizehn unzutreffende Behauptungen weiter aufzustellen.

Mit halbwegs guter Laune - auch die Klage von Ikea konnte zwischenzeitlich abgewendet werden - begibt sich die Redaktion bis August in die Sommerpause und Jauch auf die Reise zu den Olympischen Sommerspielen in Altanta - seinem letzten großen Engagement für das ZDF.

Born wäre nicht er selbst, würde er nicht alles daransetzen, dass das Thema bei den Medien auf der Agenda bleibt. Er entschließt sich, Ende Juli aus der Justizvollzugsanstalt heraus Strafanzeige gegen Zaik sowie den stellvertretenden Chefredakteur des Münchener Senders Pro 7, Michael von Dessauer, zu stellen. Darin wirft Born den beiden Journalisten „Betrug zum Nachteil von Fernsehanstalten“ vor, da sie von Manipulationen an Beiträgen gewusst, die Ausstrahlung aber nicht verhindert hätten.  

Doch obwohl er Beschuldigungen aus allen Rohren feuert, geht seine Taktik dieses Mal nicht auf. Zwar ist nachrichtenärmste Zeit des Jahres, aber es soll bis kurz vor Prozessbeginn dauern, bis andere Medien von Borns Strafanzeigen Wind bekommen und darauf einsteigen. Born gerät zunehmend ins Abseits. Selbst Freunde, mit denen er jahrelang in seinen manipulierten Beiträgen zusammenarbeitete und die deswegen bald mit ihm auf der Anklagebank sitzen werden, lassen den TV-Kujau fallen. Sie entwerfen ihre eigenen Strategien zur Verteidigung und suchen Distanz. Isoliert stellt Born Strafanzeigen gegen Mittäter, die früher seine Helfer waren.

Montag, 5. August 1996

Und was passiert bei stern TV? Die Redaktion bereitet eine Jubiläumssendung vor und feiert am 28. August die 300. Ausgabe. Das per PR-Mitteilung angekündigte Jubiläum stößt auf eine große, aber zugleich kritische Resonanz in der Presse. Es bleibt indes charakteristisch für den Umgang von stern TV mit dem Skandal - zugegeben dem unrühmlichsten Kapitel in der langjährigen Geschichte des Magazins -, dass er auch in der Jubiläumssendung schlicht und ergreifend keine Rolle spielt.

Dabei hätte Jauch reinen Tisch über die mehr oder weniger subtil gefertigten Fälschungen machen können. Die Anklageschrift liegt vor. Warum nutzt er nicht die Gelegenheit, zu einer Zeit, in der auch in den Redaktionsstuben sommerlicher Müßiggang vorherrscht, den ersten von Born im Frühjahr 1991 angekauften Beitrag über Diebesbanden, die angeblich Häuser in den neuen Bundesländern ausplündern, als Totalfälschung zu bedauern?

Was hält ihn davon ab, klarzustellen, dass der angebliche Drogenkurier, den ein Film im September 1992  beim Schmuggel von Kokain aus Deutschland in die Schweiz zeigt, tatsächlich ein bezahlter Born-Statist und die angebliche Droge Puderzucker war? Wieso erwähnt der Moderator nicht, dass das Bildmaterial in dem Beitrag aus Bethlehem, der im Oktober 1992 die Situation im Heiligen Land vor Weihnachten darstellte, nicht ganz koscher war? Oder dass Born im Juni 1993 ein Interview in einem Film über Umweltschäden durch eine Lahnsteiner Chemiefabrik keineswegs mit einer vorbeikommenden Spaziergängerin führte, sondern mit einer seiner Bekannten inszenierte?

 
 
 
 
 
Versalzenes Jubiläum - richtig Lust zum Feiern dürfte Günther Jauch zur 300. Magazin-Ausgabe angesichts schwelenden Skandals und bevorstehenden Prozesses im Herbst nicht gehabt haben.  


 

Wieso klärt er sein Publikum nicht auf, dass Born die angebliche Herstellung einer Bombe in einem im Juni 1994 angekauften Beitrag über Bombenbastler der kurdischen Arbeiterpartei PKK in den Räumen eines Asylbewerberwohnheims in Koblenz drehte, der Sprengstoff aus Fensterkitt in einer Marlboroschachtel bestand und die Außenaufnahmen nicht etwa in der Türkei, sondern mit albanischen Tagelöhnern in Griechenland gedreht wurden?
 
Und warum informiert der ehemalige Chefredakteur seine Zuschauer nicht darüber, dass auch Teile des im Oktober 1994 unter dem Titel „Drogenkröte“ ausgestrahlten Beitrags, in dem ein angeblich Betäubungsmittelabhängiger das halluzinogene Sekret der „Colorado-Kröte“ zu sich nimmt, Humbug waren?
 
Präjudizierend wären all diese Eingeständnisse in eigener Sache nicht gewesen. Jauch hätte zwar Schwachstellen in seiner Redaktion einräumen müssen. Doch Selbstkritik mit dem Ziel, verloren gegangene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, zählt, wie bereits nachzulesen war, nicht zu den herausragenden Qualitäten des Starmoderators.
 
Nach der Rückkehr von den Olympischen Sommerspielen in Atlanta lässt er sich in der Jubiläumsausgabe von Co-Moderatorin Amelie Fried vertreten. In der Redaktion legt die Sommerhitze den Elan für journalistische Höchstleistungen lahm: Ob „Probleme der Bahn beim Nachtexpress“ oder „gefährlicher Wrack-Tourismus in der Ostsee“ - die Jubiläumssendung bietet thematisch Altbekanntes. 
 
Freitag, 30. August 1996
 
Zum groß angekündigten Jubiläum hätte man mehr erwarten können, so der Tenor des von der Sendung enttäuschten Kritikers der Westdeutsche Allgemeinen Zeitung zwei Tage später:
 
"Bleibt der Beitrag über Kinderpornografie: Früher, bevor die Sache mit „stern TV“-Mitarbeiter und Fälscher Michael Born herauskam, hätte ich dem Beitrag mehr getraut. Reporter konfrontieren die Besteller von Kinderporno-Kassetten mit ihren Aufträgen und zeichneten selbst noch Gespräche mit den Eltern Pädophiler auf. Da kommen mir Zweifel."
 
Die Zeilen beweisen: Der Skandal schwelt weiter, im Kollegenkreis haben sich generelle Zweifel an der Authentizität der stern TV-Beiträge festgesetzt. Eine alarmierende Entwicklung kurze Zeit vor Beginn des Medienprozesses des Jahres.

 

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